in Nashville am Montagabend angekommen, nach dem Check-in im Hostel (fensterloses Zimmer) auf den Broadway. Einigermaßen überfordert – überall Musik, live, aus jeder Bar – und es sind einige. Nachdem wir die Meile bis zum Visitor Center abgelaufen haben, entscheiden wir uns für Rippy’s, der Dachterrasse wegen, wo man – Wunder Amerika – sogar raucht.
Die Band spielt Rock, ein bisschen countryfiziert, ein bisschen Southern Rock, ein bisschen Hedrix, ein bisschen egal. Und die Sängerin kommt ab und zu mit einem Hut an die Tische. Spielen auf Hut – immer noch besser als Pay to play. Ein anderer dieser Dienstleister, eher Heldenbariton mit Repertoire zwischen Cash und Skynyrd, der Tootsie’s oberste Etage beschallt, erzählt uns, er bekomme vierzig Dollar, der Rest sei Trinkgeld, „a tough life“.
Der Betrieb scheint eine Menge Leute auf diese prekäre Tour zu unterhalten. Eine Musikerin, die wir sehen, ist angeblich eine Tochter von George Jones. Müsste doch eigentlich was geerbt haben letztes Jahr.
Zweiter Tag: Touristendinge, beim Ryman Auditorium vorbei und in die Country Music Hall of Fame.
Am dritten Tag bekamen wir endlich das erste Interview. Buddy Spicher, seit den 50ern aktiv, unter anderem in der Band von Hank Williams’s Witwe Audrey, bei Hank Snow, Ray Price und annähernd unendlich vielen anderen. Ziemlich interessant, was er erzählt über das Fiddle-Spiel im Wandel der Zeiten.
Danach schauten wir uns noch ein bisschen in East Nashville um. Eine angenehme Ecke mit Groove, einem sehr netten Plattenladen.
Und Fanny’s, Gitarrenladen, Musikschule und Thriftstore – kurz überlegt, ob ich mir dieses Schmuckstück kaufe:
… ließ ich mich wider Erwarten von Apocalyptica erheitern:
taz.bremen 15.7.1999
Büchsenbier und Sesamstraße
Mit bogenvernichtender Härte bespielte die Band „Apocalyptica“ den Schlachthof
Es sah genauso aus wie vor zehn Jahren, wenn im Schlachthof irgendwelche Speedmetal-Bands spielten. Ein Haufen Langhaariger mit Büchsenbier und T-Shirts, auf die schnörkelreich Bandnamen gedruckt waren, säumte die Straße zwischen Bahn- und Schlachthof und füllte später die Kesselhalle. Als am Dienstag Apocalyptica in der Stadt waren, hatte sich die Szene offenbar nach all den Jahren wieder mal geschlossen aufgerafft. Die Kesselhalle war bis oben hin besetzt.
Daß auf der Bühne kein einziger Gitarrenverstärker stand, hätte es allerdings damals nicht gegeben. Bei der Vorgruppe „Das Holz“ gab es zumindest noch ein Schlagzeug. Aber ansonsten von klassischen Instrumenten des Schwermetalls keine Spur. Dafür eben klassische Instrumente. Von zwei Geigen und dem erwähnten Schlagzeug (ein wenig zu) burschikos nach vorn getrieben, ließen „Das Holz“ zum ersten Mal an diesem Abend erahnen, was aus so einer alten Leier rsp. Geige rauszuholen ist.
Barocke Akkordzerlegungen, mittelalterliche Tänze, Staccati, wie sie sonst eher von elektrischen Gitarren zu hören sind, eine Cover-Version des Damned-Klassikers „Eloise“ und ein Medley aus Pippi Langstrumpf und der Sesamstraße brachten das Publikum in Wallung und die Band für Zugaben auf die Bühne.
Dann kamen Apocalyptica. Die Idee, sich nur mit vier Celli ausgestattet an Stücken schwereren Schwermetalls zu schaffen zu machen, ist auf den ersten Blick ganz witzig und in ihrer Umsetzung auf Schallplatte zumindest drollig anzuhören. Und schließlich basiert Heavy Metal ja auch auf klassischen Tonleitern, liegt an Vivaldi und Mozart geschulten MusikantInnen also ohnehin schon viel näher als beispielsweise ein Blues. Aber erst die Bühnenumsetzung machte deutlich, daß die vier klassisch trainierten Musikstudenten mit Metal-Faible schon eine reelle Macke haben.
Zwei Mattenträger, die schwer auf ihren Instrumenten hobelnd die typischen Kopfbewegungen vollführten, und zwei Kurzhaarige, die, nicht minder druckvoll schubbernd, schon eher nach handelsüblichen Cellisten aussahen, eröffneten den Abend mit „For Whom The Bell Tolls“ von Metallica, von denen sie später noch eine ganze Reihe mehr spielten.
Sogar an einem Stück von Slayer versuchten sich die Finnen mit Erfolg, und auch Eigenkompositionen kredenzten sie neben Songs von Faith No More und Sepultura. Mit jedem Stück besserte sich die schon gute Laune im Publikum, auch wenn vor allem die Hits anderer Bands begeisterten. Da konnten schließlich alle mitsingen. Und außerdem hat es schon einen besonderen Reiz, wenn dieser ganz spezielle Gitarreneinsatz oder jene ganz bestimmte Passage in diesem oder jenem Song, von der der Fan genau weiß, daß sie gleich kommt, von vier Celli mit bogenvernichtender, roßhaarfleddernder Härte vorgetragen, erstaunlicherweise den gleichen durchschlagenden Erfolg wie im Original erzielen kann.
Dabei erzeugte das Quartett mit minimaler technischer Unterstützung nicht nur einen eminent druckvollen Sound, sondern machte auch eine unterhaltsame Show dazu, mit erheiternden Ansagen in schlechtem Englisch und hochgerissenen Celli. Und das konnte nachweislich sogar Skeptiker erheitern.
schrieb ich für die taz über ein schönes, kleines Projekt
taz.nord 8.7.2004
Bekiffte Weltraumschlacht
Hannover auf Universums-Kurs: Mit „The Curse Of The Universe“ haben Timo Lommatzsch und Sven Missullis ein kollektives Psychedelic-Projekt umgesetzt
Es ist eine der bestgehassten Phrasen in den Musikredaktionen dieser Welt: „Musik für einen Film, der nie gedreht wurde.“ Meist gebraucht für instrumentale Musik, die entweder nicht für sich selbst stehen kann, oder zu der man nichts Gescheites zu sagen vermag.
Zwei Männer flößen der Phrase Sinn ein: Timo Lommatzsch und Sven Missullis kennen sich aus der gemeinsamen Zeit in der Rockband Payola, Lommatzsch als Sänger, Missullis als Schlagzeuger. Als Psychedelic Avengers wollten sie mit „Curse Of The Universe“ einen Film für die Ohren machen. Und das kam so: Lommatzsch kehrte vor kurzem, nach seinem Ausstieg bei der „Mandra Gora Lightshow Society“, in die alte Heimat, den Ruhrpott zurück. Hatte einen Haufen Ideen und wollte sie umsetzen. Weil er vor Ort aber niemanden mehr kannte, rief er seinen alten Kumpel Missullis an und mit ihm in den europäischen Psychedelic-Wald hinein – und es antwortete. Ihre Skizzen und Fragmente gaben sie an Musiker, die sie unter anderem bei den legendären jährlichen „Swamp Room Happenings“ in Hannover kennen gelernt hatten: die dänische Stoner-Rock-Band On Trial, den Mandra-Gora-Kollegen Anders Becker, Matmosphere, Liquid Sound Company und und und – „nur nette Leute“ wollte man dabei haben, um „Curse Of The Universe“ „ohne Nerv mit Verträgen und so weiter“ umsetzen zu können. Eine Weltraumschlacht musste dabei sein, Sex (gern auch in Gruppen), Kiffen und Rock’n’Roll.
Enter Perry Rhodan: „Ich liebe die Perry-Rhodan-Hörspiele, vor allem die neuen, und habe dann auch die alten Heftromane nochmal gelesen“, erzählt Timo. Was ihn besonders fasziniert: Die unendlichen Weiten des Perry-Rhodan-Universums, an dem rund zehn Stammautoren kontinuierlich arbeiten, um es in die feinsten Verästelungen weiter zu entwickeln. Dieses Prinzip lässt sich auch in der Musik der Psychedelic Avengers wiederfinden. Die mäandert zwischen brodelnden Stoner-Rock-Riffs, rappelndem Drum’n’Bass, zirpender Synthetik, kühlen Streichern, Sirenenstimmen, verquaster Space-Lyrik, Kraut, Rock und stompenden Disco-Beats, ist abstrus wie das ganze Konzept, zugleich aber von angenehmer Unbekümmertheit und Frische.
Als Referenz an den Rhodan-Verlag ersannen die Avengers herrlich beknackte Songtitel, fast jeder für sich geeignet, die sanktionierte Zeichenmenge zu sprengen: „Trapped beneath the silverdome of the undead teenage lesbian mutant vampire queens from Veneris Prime“ oder „An ordinary evening on board of the Silver Wing on one of those cold and lonely interstellar nights“.
Ein zweiter Teil ist bereits in Planung, auf dem nicht zuletzt die Fusion von Rock mit Drum’n’Bass weiter entwickelt werden soll. Dafür sucht Lommatzsch Elektronik-Musiker, Video- und andere Künstler. Aber erstmal wird jetzt kräftig gefeiert: Am 18. Juli ist im „Bei Chez Heinz“ in Hannover Release Party, nachdem eine erste in Berlin schon Wochen vor Veröffentlichung des Albums über die Bühne ging – eine Zeitspanne, die in den zeitlichen Dimensionen des Rhodan-Universums wirklich keine Rolle spielt.
MOTORPSYCHO PRESENTS – ‚The International Tussler Society‘ CD&DVD
Anders als bei der im letzten Jahr wiederveröffentlichten ersten Tussler-Platte gibt es hier beinahe ausschließlich Originale, vorwiegend von Charlie Bob Bent alias Bent Saether geschrieben. Die Ausnahme kommt aus der Familie: „The Skies Are Full Of … Wine?“, seinerzeit auf der „Ozone“-EP enthalten. Stlistisch geht es zu wie auf dem Fake-Soundtrack: Bluegrass, Folk, Country-Rock, Southern Rock (wieder diese unglaublich schönen Twin-Leadgitarren, wie sie die Allman Brothers Band seinerzeit erfand, in vollendetem Zweiklang golden perlend). Aus jedem Ton sprudelt die Liebe für die Originale, Snakebite Ryan (Snah) spielt traumhaft stilsichere Licks, Steelguitar-Virtuose K. K. Karlsen webt silbrige Stahlfäden, „Duellin‘ Flint“ Gebhardt zupft das Banjo, zwei Schlagzeuge (wieder die Allman Brothers, aber auch Grateful Dead im Sinn) treiben sanft pulsierend voran, dass es nur so eine Freude ist. Die zweifelhaften Implikationen von derlei Musik (i.e.: ein gewisser rotnackiger Konservatismus) sind dabei so unerheblich, dass man genauso gut seine Späße damit treiben kann. Klischees wie das Lamento „The West Ain’t What It Used To Be“ und „That Ol‘ White Line“ gehören als Konvention zum Inventar, wie sie ironisch gebrochen romantisch verklärt werden. Begleitet wurde die Tussler Society von einem Kamerateam, das den Aufnahmeprozess festhielt und eine Dokumentation daraus bastelte. Dazu gibt es noch den Clip zu „Satan’s Favourite Son“ und einen Strauß Überraschungen.