Vor zehn Jahren


taz.bremen 14.4.2004

Verspielte Zauberer

Das Duo Chevreuil kommt aus Nantes, macht Rockmusik im Stil der Chicagoer Szene und spielt morgen in Bremen

In Jazz und Blues lassen sich bestimmte Spielarten bestimmten Städten zuweisen. Auch in der Rockmusik gibt es vergleichbare Phänomene, was hierzulande zum Beispiel zur ironischen Inthronisation der Hamburger Schule führte.

Für den Rock-Untergrund war es in den letzten Jahren vor allem Chicago, wo wegweisend musiziert wurde – mit einem angenehmen Hang zur hype-resistenten Sperrigkeit. Und der Chicago-Einfluss zieht weite Kreise: Auch in Frankreich wird chicagoesk gespielt, was bestätigt, dass man den Rhythmus irgendwo, aber gewiss nicht im Blut hat: Das Duo Chevreuil aus Nantes produziert auf Gitarre und Schlagzeug eine originelle Version von instrumentalem Rock.

Steve Albini – mit seinen Bands Big Black, Rapeman und Shellac einer der Protagonisten der Chicagoer Szene – lud die seelenverwandte Band in sein Studio, wo Chevreuil 2003 ihr Album „Chateauvallon“ aufnahmen. Hierauf vereinen die Franzosen die Schroffheit von Shellacs Noise-Rock mit der verspielten Komplexität der einigermaßen unfassbaren, mittlerweile aufgelösten Chicagoer Instrumental-Zauberer Don Caballero.

Seit 1998 spielen Julien F. (Schlagzeug) und Tony C. (Gitarre) als Chevreuil zusammen. Die Begrenztheit ihres Instrumentariums erweitern sie durch technische Hilfsmittel: Tony C. verstärkt sein Instrument mit mehreren Gitarren- und Bassverstärkern und schaltet diesen Effektpedale vor. So klingen Chevreuil wie eine komplette Rockband und haben dabei herzlich wenig mit den bassfreien Trash-Rock-Modellen von Jon Spencers Blues Explosion oder den White Stripes gemein.

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Vor zehn Jahren


im TRUST:

WEASEL WALTER, FRED LONBERG-HOLM & KEVIN DRUMM – ‚Eruption‘

Die Fortsetzung des Irrsinns von vor drei Jahren, als Walter mit Fred Lonberg-Holm und Jim O’Rourke Masayuki Takayanagi mit einem Album Tribut zollte. Anscheinend warf mehr als ein Kritiker Walter Respektlosigkeit gegenüber Takayanagi vor, woraufhin der Beklagte erst recht nicht abließ. In dem Bestreben, ein ausgearbeitetes Studio-Album aufzunehmen, ließ er – so der Pressetext – Konzept Konzept sein und es im Folgenden mit Lonberg-Holm (Cello) und Kevin Drumm (Gitarre) krachen – und wenn ich krachen schreibe, meine ich KRACHEN! Dass dies das erste Mal wäre, dass Walter seine „free jazz socialization“ mit dem „no-wave grind core“ seiner Band Flying Luttenbachers synthetisiert habe, wie der Pressetext weiters behauptet, stimmt indes wohl nicht ganz (ich denke u.a. an „Alptraum“ von den Luttenbachers, wo er – ebenfalls mit Lonberg-Holm – einen berstenden Free Jazz mit seinem typischen, von Metal mehr als nur inspirierten Schlagzeugspiel versüßt). Wie dem auch sei: „Eruption“ ist natürlich eine solche sowie Zeugnis für den Humor des Mannes. Bester Songtitel: „I released 78.032 different compact discs of improvised music last week (and sold 14)“. Für Liebhaber normalerer unhörbarerer Musik außerdem noch – und sogar noch mehr – empfehlenswert: „Systems Emerge“ (Troubleman Unlimited), das neue Werk der Flying Luttenbachers, von dem derweil in die Bay Area gezogenen Walter ganz allein aufgenommen – natürlich toll!

Grob/A-Musik/JHM/No Man’s Land/Open Door

Vor 15 Jahren


… musste ich für die taz bremen zu Heinz Rudolf Kunze

taz.bremen 29.3.1999

Einmal wie Grass sein

Heinz Rudolf Kunze las in der Buchhandlung Geist aus seinem Wortgeklingel, und manche Leute hielten’s sogar für witzig

Ulrich Wickert garnierte in der Moderation der „Tagesthemen“ am Samstag den Übergang vom Krieg im Kosovo zur Leipziger Buchmesse mit der Feststellung, daß Künstler „die Seele des Bewußtseins“ seien. Daraufhin durfte sich Günter Grass einen kritischen Gedanken zur gegenwärtigen Lage leisten. Das macht er bekanntlich häufiger. Und mindestens einmal wurde er dafür auch schon rüde geschmäht.

Es scheint so, daß Heinz Rudolf Kunze seit Jahren daran arbeitet, selbst mindestens einmal im Leben so abgewatscht zu werden wie Grass. Deshalb kräht er nach deutschen Quoten für deutsche Musiker, gibt seinen Büchern so brisante Titel wie „Heimatfront“ und sonnt sich leidenschaftlich im Irrtum, daß ein Tabubruch an sich schon etwas ganz Großartiges ist. Und wenn man für eine noch reaktionäre Äußerung ein paar wackere Bürger in Wallung bringt, dann muß es sich wohl um einen solchen gehandelt haben.

Da mag man schon gar nicht mehr hinhören, wenn ein Text „Frauenpower“ heißt. Und macht man es wie zum Beispiel bei Heinz Rudolf Kunzes Lesung am Samstag in der Buchhandlung Geist wider besseren Wissens doch, folgt die Strafe auf dem Fuße: „Stell‘ dir vor es ist Fickstreik, und keinen Mann juckt’s!“ Mit solchen Sentenzen macht er sich im Sinne des Wickertschen Künstlertums gut als Seele eines Mainstream-Bewußtseins, das sich Familienpolitikerinnen der 68er-Generation gern als „zumindest im Kopf verbittert-lesbisch“ (Kunze) vorstellt, und sich freut, wenn jemand (Kunze) das auch mal laut sagt – als wär’s schon dann eine gelungene Kritik, wenn das Opfer sich getroffen fühlt.

Richtig schön, und das ist ganz unironisch gemeint, wurde es, als Kunze den Ton eines Bundeswehr-Werbefilms imitierte und dem Langschlafen ein Hohelied sang. Da verhedderte er sich nicht in Wortgeklingel, trieb keine stilistischen Blüten, strapazierte nicht stangenweise Stabreime, stammelte nicht dekompositorisch an seinen Wörtern herum, schlug auch keine syntaktischen oder selbstreferentiellen Salti, sondern hatte zur Abwechslung einen Gedanken, den er in der gebotenen Kürze ausformulierte: Unter Bezug auf die Bild-Zeitungsschlagzeile „Kommt heil nach Hause, Jungs!“ kalauerte er, daß der den Jungs ja auch wünscht, daß sie heil zurückkämen, solange sie nicht mit „Heil“ heimkämen. Witzig was? Finden Sie nicht? Ich auch nicht.

Und selbst wenn dieser Kalauer ein verunglückter Spontanismus war, dann ist das keine geeignete Entschuldigung. Zeit genug wäre gewesen. Und die nimmt er sich ansonsten ja schon, der Kunze, wenn er seine Inhalte solange durch die Kunstmühle dreht, bis kein Wort mehr einfach so dasteht, sondern ein jedes sein Päckchen an Wortwitz zu tragen hat. Wer hätte damals in den frühen Achtzigern, als er sich im Fernsehen mit Rüschenhemd präsentierte und als deutsche Antwort auf Prince vorstellte, gedacht, daß aus Kunze ein solcher Zausel werden könnte? Einer, der eine ganz schlichte, eines Dieter Hallervordens würdige Freude daraus zieht, wenn er schreibt, „Dieter Bohlen als solcher“ sei Umweltkriminalität. „Den konnte ich mir einfach nicht verkneifen“, preßte der Dichter entschuldigend hervor und wurde für sein gescheitertes Verkneifen durch langen Beifall belohnt. Kunze und sein Publikum: Das war eine der seltenen Begegnungen von Seelenverwandten. Und da will ich ja wirklich nicht weiter stören.

Vor zehn Jahren


… für die lokale taz besprochen und heute so wertvoll wie damals:

bremen im brenner

Cool Jerks: „Wir beaten mehr“

Die langen Jahre in den Probe- und Beatkellern des Landes haben sich ausgezahlt, jedenfalls musikalisch: In Bands wie den Lowlanders, gewiss einst Bremens partyfesteste Combo, bei den Meatles, Trash Monkeys und wie sie alle heißen erarbeiteten sich Andreas, Guido und Lutz das Handwerkszeug, mit dem sie als Cool Jerks seit ein paar Jahren auf einem neuen Plateau arbeiten.

Immer noch in den recht präzise umrissenen Gefilden des Garagen-Beat agierend, haben sie mittlerweile die musikalische Reife, die Songs selbst in den Vordergrund zu rücken – unbemäntelt von dem sägenden Gitarrenkrach ihrer oft ungestümen Vergangenheit. Und sie verfügen über eine lyrische Souveränität. Die gestattet es ihnen, die von sich sogar behaupten, sie sängen dann und wann auf Luxemburgisch, ihr zweites Album komplett in deutscher Sprache zu betexten. Und zwar ohne dabei aufdringlich zu klingen.

as Resultat heißt „Wie beaten mehr“ und belegt die musikalische Klasse der Band. Gelassen und gekonnt spielen die Cool Jerks mit der Geschichte deutscher Rockmusik von den Lords bis zu den Ärzten. Sie zitieren „Zurück zum Beton“ (S.Y.P.H.), beziehen sich stilistisch auf Trio – „Vorbye (und Schluss…)“ -, adaptieren „Launisches Mädchen“ von der polnischen Beatlegende Czerwone Gitary und bringen das alles in formvollendeten Sixties-Beat-Songs unter, ohne dabei nostalgisch zu werden. Einmal abgesehen davon, dass „Wir beaten mehr“ exklusiv in archaisches Vinyl gemeißelt veröffentlicht wird. Addieren wir noch den hanseatisch-patriotischen Schlag dazu, der sie Songs über den Osterdeich und den Lieblingsclub Tower schreiben lässt, haben wir den beträchtlichen Charme der Band einigermaßen präzise im Sack.

Der nächste Clou des polyglotten Trios soll dann übrigens eine Single sein, die sie sich mit den niederländischen Waistcoats teilen. Die Holländer singen Deutsch, die Cool Jerks Niederländisch.

Vor zehn Jahren


… besprach ich für das TRUST entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten ein Reggae-Album:

PRINCE ALLA – ‚More Dub‘

Allmächtiger! Ich weiß, dass es dich nicht gibt. Aber Prince Alla weiß es nicht. Er wusste ja als kleiner Bub sogar nicht einmal, dass Alla und du eigentlich in erster Linie dieses gewisse Göttliche gemeinsam habt und euch schon allein deswegen wechselseitig ausschließt. Bei Alla ist der Prince geblieben, wenn auch nur dem Namen nach. Ansonsten singt er zu deinem Lobpreis, Rastafari, wie kaum ein zweiter, seit du Bob Marley zu dir nahmst und H.R. eher damit beschäftigt ist, sich mit seinen Bandmitgliedern zu schlagen. Auf Prince Alla kannst du wahrlich stolz sein. Im rund dreißigsten Jahr seiner Karriere hat er es wieder einmal geschafft ein beinahe makelloses Dub-Reggae-Album aufzunehmen, in dem sich erhabene Bässe, irrwitzig altmodische Hall- und Echo-Effekte auf rappelnden Percussions, strahlende Bläser-Riffs, komische Geräusche, ein paar Gitarren (vielleicht das einzige Manko in meinen Ohren) und seine salbungsvolle Vokalarbeit zu einem schier mitreißenden Gesamtklang in beinahe unendlichen Räumen (und unendlich – da stehst du doch drauf) versammeln, dass ich ihm glatt nachsehe, dass er an dich glaubt – und Hand aufs Herz: Du weißt, dass mir das gewiss nicht leicht fällt. Aber in Nachsicht seid ihr Götter doch angeblich auch ganz groß. Drum komm, alter Junge, gib dir schon einen Stoß und kauf diese Platte!