Vor zehn Jahren


taz.bremen 9.1.2004

bremen im brenner

Die „Splitting Series“-Reihe des Bremer Happy Zloty-Labels

Das Format ist exotisch: Vinyl in 12 Zoll, also das alte Langspielplattenformat, hier allerdings jede Seite von einer anderen Band bespielt. Umgesetzt wird dieses Konzept gerne aus ökonomischen Gründen von Punk- und Hardcore-Bands – Ansgar Wilken, Alleinbetreiber und somit Chef des Bremer Labels Happy Zloty, weiß allerdings: „Das gab es schon lange vorher in der Neuen Musik – es existiert zum Beispiel eine Split-12″ von John Hidalgo und John Cage.“

Der ökonomische Vorteil der „Splitting Series“ liegt auf der Hand: Zwei Künstler respektive Bands auf einem Tonträger, mit immer noch ausreichend Zeit zur Entfaltung. Der Serie erster Teil stellt die Berliner Band Perlonex und das Berlin-Bremen-Projekt Julijuni vor. Dabei besteht die Seite von Perlonex aus einem einzigen Track namens „With Enemies Like These, Who Needs Friends“. Wie Julijuni kommen Perlonex aus der freien Improvisation und sind gelangweilt von dem in Berlin gepflegten, oft übervorsichtigen Minimalismus: Die Spannung kommt aus dem Widerspruch zwischen sich allmählich entwickelnder Form und freiem Spiel.

Die Eigenwilligkeit der Reihe „Splitting Series“ drückt sich auch im Drumherum aus: Die Hülle wurde von Marion Bösen (Galerie Herold) gestaltet und umgeht die klassische Aufteilung in A- und B-Seite. Gestaltet ist sie in Siebdruck, also Handarbeit. Die Auflage der Platte ist auf 200 Stück limitiert.

Die Schönheit des Produkts ist, was zählt, und Spaß soll es obendrein machen. „Man kann auch zum Sklaven des eigenen Konzepts werden“, sagt Labelchef Wilken. Weil er das nicht wollte, kippte er kurzerhand die Idee, in der „Splitting Series“ jeweils eine Seite elektronisch, die andere akustisch zu füllen – nun sind beide im weiten Feld dazwischen zu verorten.

Manches ergibt sich eben so. Wie die beiden kommenden Ausgaben der „Splitting Series“, mit W.o.o. Revelator und Jaime Fenelly bzw. Anne Laplantine (alias Angelika Koehlermann) und Semuin. Wieder ganz anders. Und garantiert nichts fürs Formatradio.

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Ein Anlass wird diesmal nicht gegeben


taz.bremen 18.1.2002

Annäherung zum gegenseitigen Ergötzen

 Der Ausgeher (4): Es ist einer gewissen Ratlosigkeit geschuldet, dass Blohm und Voss in die Abenteuer des Ausgehers geraten und – den Wall entlang spazierend – von dem Wort „Lemon Lounge“ gelockt werden

Blohm: Was ist eigentlich eine Lounge? Mir scheint sich nicht soviel verändert zu haben, seit es noch schlicht das Wall-Café war.

Voss: Keine Ahnung. Die Bar – mit Sitzen anstelle von Hockern – ist neu. Und die wunderschönen, einladend ausladenden roten Sofas auf der oberen Ebene auch.

Blohm: Auf denen ist leider kein Platz. Gepflegter Jazz, nett, immer noch ein schöner Raum. Muss man hier eigentlich jetzt Cocktails trinken, wo es eine Lounge ist?

Voss: Ich bleibe beim Bier. Das kostet hier auch nicht mehr als anderswo.

Blohm: Was immer noch mehr ist als früher. Ach, ich klinge schon so, wie meine Schwiegermutter, die von Hastedt in die Vahr fuhr, weil dort die sauren Gurken fünfzehn Pfennig billiger waren …

Voss: Hinten ist ein Tisch frei. Von dort aus haben wir einen guten Blick.

Blohm: Sie meinen, weil Sie dann näher an der attraktiven jungen Dame sitzen.

Voss: Was denken Sie von mir?!

Blohm: Nur Gutes.

Voss: Sie meinen, ich könnte nicht einfach den Raum auf mich wirken lassen wollen? Ob sie auf jemanden wartet?

Blohm: Vielleicht auf Sie?

Voss: Sie sind gewöhnlich.

Blohm: Keineswegs. Aber warten wir es ab. Da ist noch jemand ohne Begleitung.

Voss: Sie meinen diesen ungepflegten Mann, der sich seinem Alter nicht angemessen kleidet?

Blohm: Wenn Sie so wollen …

Voss: Er hat sie auch schon gesehen.

Blohm: Eifersüchtig?

Voss: Sie scheinen sich bereits zu kennen.

Blohm: Oder es ist einer dieser abgefeimten Typen, die keine Hemmungen in diesen Dingen haben … Wie beneidenswert. Verstehen Sie mich nicht falsch. Sie wissen, dass ich glücklich verheiratet bin. Aber ich habe Respekt vor einer zielstrebigen Vorgehensweise, die die Produktion von Ergebnissen beschleunigt.

Voss: Die beiden müssen sich kennen. Es sieht zumindest in dieser Lounge nicht so aus, als ginge man ausgerechnet her, um jemanden kennenzulernen. Sehen Sie, hier ist fast niemand allein.

Blohm: Das ist sicherlich richtig. Aber vielleicht nutzt er nur die Gunst der Stunde. Warum soll stets allein bleiben, wer sich auch versammeln kann? Ach, man sieht es selten, wie sich zwei Menschen zum gegenseitigen Ergötzen einander nähern …

Voss: Sie sind ungewöhnlich leutselig.

Blohm: Sie ist ungewöhnlich interessant.

Voss: Es ist ungewöhnlich leer geworden.

Blohm: Es ist für meine Verhältnisse ungewöhnlich spät geworden.

Voss: Wir sind für unsere Verhältnisse ungewöhnlich nüchtern.

Blohm: Wir sollten etwas Ungewöhnliches tun!

Voss: Wir sind ja schon mittendrin. Gehen wir doch noch woanders hin. Vielleicht sollten wir in die BEGU fahren.

Blohm: Dass es die gibt, glaube ich erst, wenn ich sie sehe. Ungewöhnlich wäre es immerhin. Ich möchte jedenfalls nicht unbedingt wissen, wie die Geschichte endet. Kommen Sie, Voss, wir nehmen ein Taxi und fahren noch ins Viertel. Wäre doch gelacht, wenn wir nicht noch auf unsere Kosten kommen, zumal – wenn Sie mir den schlechten Witz gestatten,- diese seit der Währungsreform rasant gestiegen sind.

Aus gegebenem Anlass


taz.nord 16.12.2006

Aus gegebenem Anlass:

Einkaufen mit älteren Herren

Geschlagene neun Jahre ist es her, dass Blohm und Voss auf die Jagd nach Geschenken gingen. Zeit, sich zu erinnern.

Voss: Dr. Blohm! Gut, dass ich Sie treffe. Eine Katastrophe! Weihnachten steht vor der Tür, und ich habe immer noch kein Geschenk für meine Mutter.

Dr. Blohm: Sie Ärmster! Mein Glück, dass Frau Blohm solche Dinge besorgt.

Voss: Das können Sie laut sagen!

Dr. Blohm: Nur Mut. Ich werde Sie begleiten. Aber erst brauchen wir Inspiration.

Voss: Eine Feuerzangenbowle wäre herrlich …

Dr. Blohm: Ohne mich. Ich bestehe auf Glühwein.

(Der erste Glühwein findet seinen Weg in die Mägen von Blohm und Voss)

Dr. Blohm: Nun fühle ich mich der Aufgabe gewachsen. Haben Sie eine Idee?

Voss: Vielleicht einen Schal …

Dr. Blohm: Wie abgeschmackt! Warum nicht Seife oder Pralinen?!

Voss: Meinen Sie?

Dr. Blohm: Ich scherze. Vielleicht sollten wir ganz bremisch ,nach Karstadt‘ gehen.

Voss: Der Gang durch die Parfümabteilung ist nur mutigen Menschen oder welchen ohne Geruchsempfinden zu empfehlen.

Dr. Blohm: Hier soll es auch einen Schnäppchenmarkt geben.

Verkäufer: Da heißt es aufgepasst, mitgemacht und mitgewühlt! Alles für zehn Mark. Preiswerter ist es wirklich nicht machbar …

Dr. Blohm: Hier gibt es nur Spannbettlaken und Phil-Collins-CDs.

Voss: Ich brauch‘ noch einen Glühwein.

Dr. Blohm: Recht so.

(Nach zwei weiteren Gläsern nehmen die beiden wieder den Kampf auf)

Dr. Blohm: Als mein Freund Travnicek gefragt wurde, was er bei all dem weihnachtlichen Lichterglanz empfinde, sagte er, er wünsche sich einen Kurzschluss.

Voss: Das würde auch nichts gegen die Nikolausmützen der Passanten dort ausrichten.

Dr. Blohm: Leider! Wissen Sie, was die Menschen so in Raserei treibt?

Voss: Vielleicht hilft noch ein Glühwein.

(So geschieht es, und Blohm gerät sichtlich in Laune)

Dr. Blohm: Ein Buchgeschäft! Keine Widerrede!

Voss: Und was ist mit meiner Mutter?

Dr. Blohm: Es wird sich schon was finden lassen. Travnicek sagte immer: „I geh in a G’schäft eini, schnapp, was i kriegen kann, und zu Haus pack i’s aus und denk nach, wem i’s anhängen kann.“ Hier, ein Kochbuch, oder ein Buch von Uli Wickert, etwas mit Niveau …

(Eine Lichterkette mit sich reißend stolpert Blohm in die Arme von Voss)

Voss: Na na, nicht so stürmisch alter Freund! Sie haben ja einen Schwips!

Dr. Blohm: Iwo! Aber wissen Sie was? Ich werde mich daheim der Lektüre widmen. Eine große Hilfe scheine ich ohnehin nicht zu sein. Frohe Weihnachten, und grüßen Sie Ihre Mutter.

Voss: Frohe Weihnachten, Dr. Blohm! Anscheinend gibt es Dinge, die ein Mann alleine tun muss.

protokoll: asl

Vor zehn Jahren


Im Dezember-BREMER empfahl ich unter anderem:

the rapture/ echoes

motor /universal

Ein House-Beat eröffnet „Echoes“. Dann hebt eine Stimme an, die die nächstdenkbare Variante auf Robert Smith von The Cure sein dürfte. Handclaps setzen ein. Erst im zweiten Stück gibt es eine Gitarre – so schartig wie damals bei Pop Group. Ein Saxophon bläst frei dazwischen. Später werden sie auch mal melancholisch. Und funkig wie die Gang Of Four. The Rapture sagen, in Amerika würde sie niemand verstehen, weil dort niemand Gitarren und House gleichzeitig möge. Das mag Koketterie sein. Punk hatte immerhin schonmal eine heftige Liaison mit Disco, vor zwanzig Jahren in New York – der Stadt, die auch die aus Kalifornien stammenden The Rapture zur Heimat erkoren. In Zeiten wie diesen, wo annähernd jeder Furz aus den Achtzigern noch einmal aufgewärmt wird, sind The Rapture mit einer Kühnheit am Werk, die nicht ignoriert, was inzwischen in der weiten Welt der Musik passiert ist, sondern mit dem gleichen forschen Impetus eben viel eher den Spirit in die Gegenwart übersetzt, anstatt sich mit dem Abkupfern von The Clash herumzuplagen. Anstatt eine Referenzhölle für Besserwisser zu erschaffen, haben sie so einfach eines der aufregendsten Pop-Alben des Jahres geschaffen.

desert sessions /9&10 (rekords rekords /ipecac /island) Das machen sie in ihrer Freizeit, Josh Homme und Nick Oliveri, die Toxic Twins des Wüstenrock, besser bekannt als Nukleus der Queens Of The Stone Age: Sie laden sich Freunde ein – und spielen. Diesmal von der Partie: PJ Harvey, Dean Ween, Chris Goss und ein halbes Dutzend andere, ein Haufen komischer Instrumente sowie ein großer Sack Schmunzelgras, wie bei Genuss des skurrilen bis grandiosen Ergebnisses vermutet werden darf.

Vor 15 Jahren


erschien in der taz bremen folgende Ankündigung, die mir ein willkommener Anlass ist, per Ton und Bild an die großartigen Colossamite zu erinnern.

taz Bremen 17.12.1998

Die Zukunft des Rock’n’Roll!

 Die Vorschau: Colossamite werden am Freitag abend im wieder aktivierten Wehrschloß schier Großartiges vollbringen

Wehrschloß, Wehrschloß, da war doch mal was?! Und jetzt geht da wieder was. Ein paar Menschen haben sich die Wiederbelebung des Ortes legendärer Krach- und Hardcore-Happenings zur Aufgabe gemacht. Nichts anderes, als ein Einstand nach Maß, ist zu nennen, was für dieses Wochenende geplant ist. Es folgen hier einige Gründe in der Reihenfolge ihres Auftretens.

Stau aus Hamburg zerschroten mit bemerkenswerter Konsequenz etwas, was einmal Songs gewesen sein müssen, spielen, was einst Rock gewesen sein mag, klingen zwar inzwischen, wie es scheint, ein wenig nuancierter, geben sich aber nach wie vor unversöhnlich. So klangen weiland White Zombie auf ihrer ersten Platte.

Venus Vegas aus Köln werden dann etwas mehr an Sophistikation dreingeben. Früher mal hießen sie Dishwater. Als Venus Vegas buddeln sie sich ganz weit in die Geschichte populärer Musik ein und nennen die dort zutage tretenden Quellen ganz offen, indem sie zum einen Gary Numan und Wall Of Voodoo nachspielen, zum weiteren auch ohne Skrupel ihr Schaffen mit Bands wie Servotron ins Verhältnis setzen, und die sind ja bekanntlich große Fans von Devo und so weiter, womit wir auch wieder in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern sind. Ach ja, daß ihre Platte „Bring Me The Head Of Johnny Marr“ heißt, werden mit den Smiths aufgewachsene Menschen auch als gewitzt empfinden.

Das ist aber alles so schön, wie es gegessen ist, wenn dann Colossamite aus Minneapolis die Bühne betreten. Wer die Dazzling Killmen kennt und liebt, darf hier aufhören, weiterzulesen, und kann sich schlichter Vorfreude hingeben. Wer dies noch nicht tut, hole es gefälligst nach und schließe überdies auch die neue Band des Dazzling Killmen-Gitarristen und -Sängers Nick Sakes ins Herz.

Colossamite nehmen Musik, zerren und biegen, bis sie birst und splittert, halten kurz ein, verbreiten minimalistische Schönheit, spröde, nie einlullend, ständig unter Spannung. Nicht ganz so in Permanenz treibend wie die Dazzling Killmen, aber dafür aus dem Gegensatz von Meta-Jazz und Krach-Rock auf der einen Seite und zerdehnten, ausfasernden Teilen in between Spannung generierend. Es packt Dich, schüttelt Dich und hinterläßt, wenn es vorbei ist, die Frage: Warum, um alles in der Welt, ist das eigentlich nicht die Musik, die jeder und jede gut findet? Was treibt die Menschen dazu, sich von Toten Hosen, Engelbert und repetitiven Tanzrhythmen einseifen zu lassen, wo Musik doch, wie bei Colossamite, auch Dein kleines Gehirn in nervöse Zuckungen versetzen und Dich wirklich mitnehmen kann?