Vor 15 Jahren


… schickte mich die taz zu einer Lesung von Dietrich Schwanitz:

taz Bremen 16.12.1998

Der Marsch durch offene Türen

 Der Autor Dietrich Schwanitz und das zweifelhafte Vergnügen, kein Gutmensch
zu sein

Daß sich der schriftstellernde Anglistikprofessor Dietrich Schwanitz zum Bubis-Walser-Twist äußert und sich dabei auf Walsers Seite schlägt, paßt ganz gut zu ihm. Diese Parteinahme gesellt sich zu seinem Spott über die „Gutmenschen“ und dem Dauerversuch, sich gegen vermeintliche Tabuisierungen zu stemmen.

Es findet allerdings auch seinen Bezug im literarischen Werk des Bestsellerautors. Um dafür zu werben, war Dietrich „Der Campus“ Schwanitz am Montag abend zur Lesung ins Café Ambiente gekommen. Er las dabei einige Kapitel aus „Der Zirkel“. Darunter auch den Abschnitt, in dem er seinen Protagonisten gegen das „Wörterbuch des Gutmenschen“ polemisieren läßt – gegen eine Gedenksprache, die, wie er später erklärte, nicht mehr geeignet ist, ihren Zweck zu erfüllen, sondern nur Langeweile erzeugt. Und etwas ähnliches hatte ja auch Walser wohl gemeint.

Schwanitz gestaltet diese Passagen durchaus mit komödiantischen Fähigkeiten, was sicher zu seinem Erfolg beiträgt. Daß seine Absichten sich wiederum von denen der so beschimpften Gutmenschen nicht unterscheiden, will sein Publikum nicht einsehen. Es ist ja auch herrlich, sich dem einfachen, besser: dem anderen Moralisten überlegen und selbst im Recht zu fühlen.

So rennt „Der Zirkel“ offene Türen ein, weil er einem Publikum die eigene Moral bestätigt. So bescheinigt der Autor zum Beispiel der Frauenbeauftragten als solcher komödiantisches Potential: Weil sie laut Schwanitz kraft Funktion den korrekten Zweck der Gleichstellung von Mann und Frau bedient, aber zu diesem Zweck Frauen bevorzugen muß, ist sie ein Opfer seines Spottes. Gleiches gilt für die alten Stasi-Seilschaften, die Schwanitz als tumbe Apparatschiks der Lächerlichkeit preisgibt. Und die Politik, so will uns der Autor auch noch weismachen, wird bei uns von den Medien bestimmt.

Das Ränkespiel, die Intrigen und die Frauenbeauftragte der Universität sind ihm Stoff für seinen durchaus unterhaltsamen Roman. Aber wenn ein Dreißigjähriger den Stuhlgang als „körperliche Schwerstarbeit“ empfindet, scheint der Autor eigene Beschwerden auf seinen Protagonisten übertragen zu haben. Und daß auch die Sexualsymbolik des Dietrich Schwanitz von einem reichlich altherrenhaften Duktus bestimmt ist, sorgt eher für unfreiwillige Komik. Seine flotten Dialoge, die auch die Verfilmung begünstigten, dürfen aber durchaus als gelungen bezeichnet werden.

Seine Fans amüsierten sich jedenfalls enorm. Und sogar als Schwanitz in der schulterklopfenden Gesprächsrunde lieber über seine Zusammenarbeit mit Sönke Wortmann bei der Verfilmung von „Der Campus“ schwadronierte, als die Frage nach Plänen zur Verfilmung seines Zweitlings zu beantworten, störte sich niemand daran. Über soviel Zustimmung kann sich ein Autor freuen. Und wo keine inhaltliche Kritik ist, da läßt es sich schwer diskutieren. Wozu auch? Lieber mal nachfragen: „Wie sind Sie eigentlich zum Schreiben gekommen?“ Oder ein paar Schwänke aus dem universitären Leben zum Besten geben. Damit war der Konsens da, den Schwanitz als zentrales Kennzeichen einer Demokratie beschreibt. Schön, wenn sich alle lieb haben.

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Vor zehn Jahr ins TRUST geheult


Zurück in der Tretmühle

 

Frühstück mit Blaubeerpfannkuchen und „Exile On Main Street“. An A. gedacht, wegen der Blaubeerpfannkuchen. Und an das Diner, das es hier mal beim Bahnhof gab, wo sie allen Ernstes „American Pancake Italian“ verkauften. Jetzt hat der Herbst wirklich begonnen. Dazu kam, dass ich an diesem Morgen überraschend einen Namen in der Zeitung las, deren Trägerin im Zusammenhang mit einigen der besten und einer der härtesten Zeiten meines Lebens steht. Als Stimme des „Sozialplenums“ wollte sie mit einem „heterogenen“ Bündnis den Kampf gegen die Sozialreformen der Regierung aufnehmen. Es mag sarkastisch klingen, wenn ich solches schreibe. Aber das ist gar nicht gemeint. Zumindest nicht nur. Es traf genau an jenem Morgen ins Zentrum jener meiner Gedanken, die ich mir nur am Rande mache: Wofür Analyse und Kritik? Der oberste Grund für die meisten Unannehmlichkeiten, die meisten Schäden, die nicht nur ich zu gewärtigen habe. Welche Konsequenzen sind aus der leicht zu ermittelnden Tatsache zu ziehen, dass ich objektiv durchaus Interesse daran habe, weil ich an den Folgen leide?

Und dann ist es ja nicht zuletzt auch die gegenwärtige Reform, gegen die natürlich auch (noch) keine Demonstration gewachsen ist, die aber doch einen Gegenstand bietet, mit dem gegen diesen Staat agitiert werden könnte. Sich hinzustellen und zu konstatieren, dass alle Welt schluckt und schluckt, bedeutet nicht, dass man selbst schlucken muss, auch wenn das nicht bedeutet, es bliebe einem bei Einsicht auch gleich etwas anderes übrig – vorerst. Ach, die Welt, sie ist nicht einfacher geworden. Auch nicht langweiliger. Nur härter.

Die Konsequenz…. Am Küchentisch kurz die Blues bekommen, als dann auch noch „Basilica“ von Jawbreaker lief.

Spiegel Online meldete:

 

Sozialverbände drohen mit Wahlboykott

Die Bundesregierung erntet für die am Wochenende beschlossenen Einschnitte in die Renten harsche Kritik. Die Gewerkschaften erwägen Proteste, der Chef des Sozialverbandes VdK droht unverhohlen: „Ich kann den 20 Millionen Rentnern nur raten, sich ihre Stimmzettel genau anzusehen.“

 

Was sie da wohl bei der genauen Ansicht finden werden, unsere Rentner, die doch schon seit über 60 Jahren in der absoluten Mehrheit ihr Kreuz an der richtigen Stelle machen? Immerhin gibt es in den Gewerkschaften noch Menschen, die ab und zu gute Ideen haben.

 

Neulich fiel mir zum ersten Mal auf, wie schön überhaupt der Text von „Tiny Ugly World“ ist. Wahrscheinlich hatte ich nie darüber nachgedacht. Nicht zuletzt bekommt der natürlich noch eine spezielle Pointe im Licht der Casting-Shows dieser Tage.

 

Spotlights gleam across a starsearch nation

A million cries of „me“ drown out the cruel frustrations

Of a normal life

It’s a different kind of thinking

A whole new way of telling lies ‚til they’re true

When you’re waiting for the light

 

And we’re all waiting for the same light these days

A job well done is not enough

Without a front page photograph

Death comes quickly to the poor and obscure

Booby prizes for the kind and unsure

When they’re standing in the light.

 

40 channels of a daydream simulation

Help me to forget myself and raise my expectations

Of a better life

I’m ready to be special now

Get what I deserve and shine for an hour

Standing in the light [singen tut er: Just waiting for the light]

 

And it would help help if you could die

Something fast and tragic at an early age

Guilty soon as you try

Get a sense of history

Put yourself on the page.

It’s an ugly sight

When everybody’s on the stage.

 

She’s got the face to launch a thousand supersonic jets,

A waitress in another life, how easy she forgets

Looks back with a sigh at simpler days

She’s not ungrateful,

Just caught up in the chase

Still waiting for the light.

 

Think of me!

 

(…)

(Alice Donut – Tiny Ugly World)

 

Es ist Sonntag. Und es kann einen ganz schön fertigmachen, seinen Blues spazieren zu führen. Marodierende Kinderwagenschieber und Hundebesitzer, die das ganze Land mit Hundekot überziehen wollen, drängen sich auf den Parkwegen und unten am Fluss. Und als hätten sie sich verabredet, trifft man jedes Mal eine neue frischgebackene Mutter, die man noch von früher kennt. Überraschend ist das nicht mehr. Aber schön auch nicht gleich. Andererseits sagte mal ein Freund, er finde das nicht schlimm. Jemand müsse schließlich seine Rente zahlen. Der alte Optimist, der er nicht ist … Immerhin hat er noch Humor.