Vor zehn Jahren


hatte mich die Muse fest im Griff und ich schrieb ins TRUST (merke: Im Bistrowagen des ICE durfte damals noch geraucht werden):

 

LONG AGO BUT NOT FORGOTTEN

(Is this the story of John Boy Walton?)

 

Vernichtende Wochen. Von Party zu Party. Die gelegentlichen Jobs fallen kaum ins Gewicht. Die Zeit vergeht hörbar: Immer wieder neue komische Schallplatten, die sie mir weiterhin schicken. Abgehalfterte Hardrocker, die ihre Schmolllippen vor allem dazu benutzen, den Faltenwurf zu kaschieren. Mich beschäftigt das wenig. Wäre ich nicht so kaputt von vorgestern, spränge ich umher im hellen Sonnenlicht, wie ein junges Kalb. Der Sommer ist die goldenste aller Jahreszeiten. Zeit, weite Hemden zu tragen, weil sie bequem sind. Zeit, diese Hemden auszuziehen, nachts am See. So warm der See noch nachts. Die Promenaden summen. So wie ich letzte Nacht den neuen Uferweg vorbei an den Segel- und Rudervereinen ging.

 

 

Email an K.:

> the government warned:

> too much ozone in

> the air, be careful with sports.

 

sigh. sounds like a haiku, schreibt sie zurück.

 

Wie schön der Himmel war und die Luft. Wie nah wir uns lagen. Wie sich ihre Haut anfühlte. Wie sie über meine strich mit bloßen Fingern. Unerhört. Und wie in jeder anderen Situation die Sache wohl weitergegangen wäre. Nachdenken über Monogamie und Eifersucht: Die oder der Geliebte muss ein anderes Bedürfnis haben, zumindest aber wird es antizipiert, sonst wäre doch überhaupt kein Grund, sich mit der Sache zu beschäftigen. Da ein konkreter Anlass indes nicht zwingend ist, handelt es sich bei dem Grund folglich um einen abstrakten und totalen Anspruch auf den jeweils anderen Meschen, der sich (der Anspruch) gleichwohl in der Regel auf etwas ganz Bestimmtes bezieht: Mindestens im Sex soll die solitäre Stellung des Geliebten praktisch werden.

 

„Konsumzwang – das klingt so negativ“, sagt der Mann hinterm Tresen im ICE-Bistro,den ich frage, ob ich hier auch einfach so eine rauchen dürfe.

„Gibt es denn ein positives Wort dafür?“, frage ich. Er bittet sich Bedenkzeit aus und sinnt eine Weile nach, während ich rauche.

„‚Nur mit Verzehr‘ vielleicht?“, schlägt er vor, ist sich da – mit Recht – aber auch schon nicht so sicher. Der Zwang ist eben kaum anders zu beschreiben, als negativ. Im Regionalexpress stellt sich die Frage dann schon nicht mehr. Letzte Etappe. Bei McDonald’s im Hamburger Hauptbahnhof Eingebung gehabt: Neue TV-Show „Loser“! Die Schwächsten kommen um. Viele werden scheitern, aber nur die Schlechtesten verlieren!

 

Der September, die alte Sau, hat mich wieder kalt erwischt. So feucht, aber kühl. Und es ist um neun Uhr schon dunkel. Nichtmal der Gedanke, in eine Bar zu gehen, klingt sonderlich verlockend. Das meiste andere auch nicht. Niemand ist in der Wohnung außer mir, und ich habe keine Zeit, mich auf andere Gedanken zu bringen. Gerade erfahre ich, dass ich wahrscheinlich im nächsten Jahr einen Job weniger haben werde. Die dadurch frei gewordene Zeit, kann ich damit verbringen, mich nach der Decke zu strecken. Spät in der Nacht: John Boy Walton sitzt sinnend an der alten Schreibmaschine und holt sich einen runter. Noch laufen Gelder auf dem Konto ein. Ein paar säumige Zahler sind ihm noch geblieben.

 

Wird es noch kälter? Wird John Boy mit seinen Argumenten Erfolg haben? Ist das Konzept für die Fernseh-Show wirklich so gut? Wann wird’s mal wieder richtig Sommer? Antworten auf diese oder andere Fragen in zwei Monaten an diesem Ort.

 

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