Am Sonntag gesehen


Von Wegen: Christian Przygodda, Henning Bosse und Thomas Fokke präsentieren in der Galerie Herold ihre neue Band

Die Vorgeschichte ist nicht ganz kurz, aber zum besseren Verständnis durchaus hilfreich. Vor rund zwanzig Jahren gründeten die aus dem Hannoveraner Raum nach Bremen gezogenen Musiker Henning Bosse und Christian Przygodda mit dem Bremer Frank Schültge die Band Die Auch. Sie nannten sich dort Onkel Henning, Lumpi und Blumm und entwickelten eine überwiegend instrumentale, immer komplizierte Musik, wenn es mal Texte gab, handelten die vom „Pipi trinken“ und Protagonisten der Sesamstraße. Das Album „Im Ernst“ dokumentiert das Wirken der Band, die Mitte der neunziger Jahre zerfiel. Schültge ging nach Berlin, Przygodda machte unter dem Namen Hausmeister allein weiter, ging nach Bremerhaven. Und Bosse wurde Schlagzeuger von Ilse Lau, einer Band, die zumindest in einschlägig interessierten Kreise nicht nur regional einen exzellenten Ruf genossen.

Als Ilse Lau sich vor rund fünf Jahren auflösten, machten Ilse-Lau-Bassist Fokke und Bosse als Diametrics weiter, Bosse zur Abwechslung als Gitarrist und Sänger. Als ihnen vor einem knappen Jahr der Schlagzeuger absprang, war Przygodda gerade nach Bremen zurückgezogen. Da lag der Schluss nahe, zusammen noch einmal neu anzufangen. Im November debütierten Von Wegen in Hamburg, im Januar gab es einen Auftritt in Hannover, und am Sonntag war Bremen dran.

Zu hören war einerseits eigentlich das, was man erwarten durfte: eine gar nicht mal übermäßig verschachtelte Musik zwischen Post-Punk, dem, was in Ermangelung eines besseren Begriffs in den 80er Jahren als Jazz-Core reüssierte, Kraut-Rock, Post-Rock und ein paar Dingen mehr.

Auch wenn Przygodda dem Rock vor über zehn Jahren abgeschworen hatte: Verständigungsprobleme ergaben sich bei den dreien offenbar nicht. Eher das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Eine gewisse Gelassenheit, die vielleicht auch dem Rahmen der Galerie Herold geschuldet sein könnte, wo nicht alles laut „Rock!“ schreit, zog sich durch das Set des Trios. Der Humor, der sich immer noch in Songtiteln wie „Mittenherum“, „Ottokar (der Rockologe)“ und „Radebrecher“ äußert schließt an alte Vorlieben an, darf aber durchaus auch auf neue Positionen verweisen: „Männer ab 40“ hieß das zweite Stück am Sonntagnachmittag. Was allerdings nicht bedeutet, es wäre sonderlich leise zugegangen – im Gegenteil.

Es ist auch klar, dass sich hier keine Hobby-Musiker selbstgenügsam aus der Affäre ziehen wollen. Die Stücke der ersten, selbstveröffentlichten CDR sind zwar noch im Repertoire, aber sie erklingen live bereits überarbeitet, zur Besetzung Bass, Schlagzeug und Gitarre kommen per Bontempi-Orgel, Nasenflöte und anderem Instrumentarium, und ein bisschen gesungen, ohne Text, wird dann doch noch, auch wenn, wie Przygodda erzählt, Gesang eigentlich nicht vorgesehen war bei Von Wegen.

Die Phase des ersten Sich-findens ist offenbar abgeschlossen, was jetzt kommt, dürfte spannend werden.

Werbung

Vor 15 Jahren


… ging ich für die taz zu den Gruftis, die das Publikum  damals noch darum bitten mussten, nicht zu rauchen:

taz Bremen 27.2.1998

Strippen für Hui Buh

 Oper, Techno, Erotik – „Die Form“im Tivoli

Unter denen, die gekommen waren, um „Die Form“zu sehen, waren nur wenige, die mit der vorherrschenden Ausformung des Individualismus konform gingen. Fahle Gesichter, Lack und Leder, toupiertes Haar, schwarz und weiß waren Vorschrift. Aber es war auch erlaubt, den Liebsten in Ketten mitzuführen, oder gleich zwei von ihnen, die dann artig zu Füßen ihrer Herrin knieten. Manche begnügten sich damit, ihren eigenen Körper zu knechten, indem sie ihn in Kleidungsstücke flochten, die durch eine ausgeklügelte Kombination aus starkem Halt und freigiebigem Loslassen manchem Dekollete bemerkenswerte statische Eigenschaften verliehen.

Drei Herren mit Leiter läuteten dann den Beginn des Konzertes ein, indem sie den Video-Beamer über der Bühne einschalteten. Nach der freundlich vorgetragenen Bitte, nicht zu rauchen, begann, worauf ungefähr dreihundert Fans gewartet hatten. Zu einer Melodie, die von Morricone hätte sein können, tanzte eine Weißgekleidete mit Armprothesen, ließ sich am Ende des Stückes höchst expressiv fallen, um dann von der Bühne zu gehen.

Brav nichtrauchend durfte sich das Publikum dann an den musikalischen Darbietungen von Philippe Fichot und Eliane P. erfreuen, die synchron dazu auch noch auf Videos mit schmerz- wie lustverzerrten Gesichtern Füße küßten und masturbierten. Sogar ein erigiertes männliches Geschlechtsteil war zu sehen. Provokation hin, Pornographie her, es handelte sich ganz offenkundig nicht um ein normales Konzert. Die Musik war so ambitioniert wie die Show, die aufgrund tänzerischer Leistungen und videotechnischer Erweiterung schon multimedial genannt werden muß.

Aus EBM, Industrial und ,klassischen‘ Elementen bastelte Philippe Fichot dazu phasenweise durchaus krasse Soundtracks, auf denen seine Kollegin kontrastierend mit morbider Opernhaftigkeit sang. Von kalter Liebe und unsichtbaren Welten. Und vom Tod und dem Mädchen, wofür auf Franz Schubert zurückgegriffen wurde. Spätestens hier konnte einem/r der Verdacht kommen, nicht nur die Musik, sondern auch der Gesang käme vom Sampler, was mit Gerüchten vom Gesundheitszustand Eliane P.s korrespondierte. Zwischendurch immer wieder tänzerische Einlagen, die sich nur durch die Kostüme unterschieden, derer sich die darunter bloße Tänzerin entledigte. Warum sie sich obendrein jedesmal mit höchster Ausdruckskraft zu Boden sinken ließ, blieb unklar. Einmal soll es Erschöpfung gewesen sein, verursacht durch die Maske, die sie während eines Tanzes trug, bei dem sie sich einen Puppenkopf in den Schritt preßte. Danach war erst einmal Pause, während der Video-Beamer seinen Dienst quittierte und das Publikum andächtig wartete, ehe es Zugaben verlangte. Auch bei denen gab es wieder ebenso ambitionierte Musik wie fallsüchtige Stripeinlagen. Schließlich ließen sich die Künstler nur noch zu Verbeugungen hinreißen. Zurück blieb ein Publikum mit dem Gefühl, gerade etwas künstlerisch enorm Wertvolles gesehen zu haben. Es durfte wieder geraucht werden, und die devoten Herren wurden heimgeführt. Hui-Buh für Erwachsene.

Nachgereicht


Velvetone
Velvetone

… sei diese Konzertbesprechung (verfasst am 27.12.2012) für eine regionale Tageszeitung, der möglicherweise dann doch nicht gedruckt wurde – warum auch immer:

Das Banner auf der Bühnenrückwand verkündet: „Twang Supreme – Velvetone“. Twang, das ist ein Sound, den jeder kennen dürfte: Ennio Morricone benutzte ihn bei seinen legendären Filmmusiken für Sergio Leones Italo-Western, im Country und vor allem im Rockabilly ist er allgegenwärtig, Surf-Musiker wie Dick Dale machen ausgiebig davon Gebrauch. Und Velvetone, die am Mittwoch im Lagerhaus ihr schon traditionelles Winterkonzert gaben, wofür sie, auch das schon traditionell, sich wieder etwas besonderes ausgedacht hatten. Twang ist ein Kunstwort, erfunden für jenen höhenlastigen Gitarrensound, der beim Anschlag der Seite nahe am Steg entsteht, oft mit ausgeprägtem Vibrato und Hall versehen.

Nachdem in den Vorjahren mal ein Steel-Gitarrist oder die Bläser-Abteilung der Ska-Band Mad Monks mit den Bremer Roots-Rockern auf der Bühne standen, war diesmal Mike Scott eingeladen, ein in Bremen lebender Kalifornier, der unter anderem in der Punk-Band Nitrous Oxide Wrestling Club spielt. Was dem tief in der Ursuppe des Rock rührenden Sound der Band eine neue Schwere verlieh.

Vorab gab es den ersten Auftritt der Stringtone Slingers zu sehen, hervorgegangen aus den Tin Roof Cats. Wie jene arbeiten sich die Stringtone Slingers am klassischen Rockabilly ab, in minimalistischer Besetzung mit Kontrabass, E-Gitarre und einem Sänger, der sich auf der akustischen Gitarre begleitete, ganz wie zu Elvis‘ Zeiten, als der 1954 in den Sun-Studios „That’s Alright“ aufnahm, ohne Schlagzeug, weil das damals in den heiligen Hallen der Country-Musik in Nashville nicht erlaubt war. Interessant wurde es vor allem, als das Trio den Swing-Klassiker „Am I Blue?“ in der Eddie-Cochrane-Interpretation spielte und damit die auf Dauer etwas stereotypen Formeln des Rockabilly sprengten.

Mit denen haben Velvetone ohnehin nicht mehr viel am Hut. Ihre musikalische Suche führt weiter zurück, liefert ihnen das Material für eigene Songs, die virtuos mit dem Vokabular von Country, Rock’n’Roll, Blues und entlegeneren Genres arbeiten, ohne dabei in Retro-Posen zu erstarren.

Am Mittwoch sorgte nicht nur der regelmäßige Einsatz einer Pedal-Steel-Gitarre für verstärkte Country-Obertöne. Mike Scott, der sich an dem prototypischen Country-Instrument mit Velvetone-Gitarrist Tammo Lüers abwechselte, brachte auch an der elektrischen Gitarre eine deftige zusätzliche Note ins Spiel. Kein Wunder, möchte man meinen, stammt Scott doch aus Bakersfield, wo sich in den 50er Jahren ein Gegenentwurf zum weichgespülten Nashville-Sound entwickelte, mit Protagonisten wie Buck Owens, Merle Haggard und Dwight Yoakam, deren Musik unter anderem von einem kräftigen Twang geprägt war.

In dieser Besetzung liefen die gewohnt souverän aufspielenden Velvetone zu großer Form auf und entwickelten sichtlich Spielfreude, die sich umstandslos auf das Publikum übertrug. Es wäre schade, bliebe diese Besetzung eine einmalige Sache.

 

Vor zehn Jahren für den BREMER rezensiert


http://www.youtube.com/watch?v=OfdFzyNYE_A

iva bittová /j.h.

indies records /www.tamizdat.org

Iva Bittová gehört in Tschechien zu den profiliertesten Musikern der zeitgenössischen Musik – und zu den vergleichsweise wenigen Musikern von dort, die sich international einen Namen gemacht haben. Die Violinistin, Sängerin und Komponistin vereint in ihrer Musik Jazz, Rock, „ernste“ Musik und eine Vielzahl ethnischer Einflüsse und arbeitete mit einer Vielzahl von Musikern aus den verschiedensten Genres zusammen. Eine gelungene Übersicht über diese Kollaborationen gibt es auf „j.h.“ (heißt soviel wie „als Gast“) zu hören: die legendären Duette mit ihrem ehemaligen Lebensgefährten Pavel Fajt, ihre Gastspiele bei der Progrock-Band Dunaj, bei Fajts Band Pluto, dem Nederlands Blazers Enselmble und anderen. Ihre musikalische Spannweite reicht dabei von gregorianischem Gesang über eine Ravel-Adaption bis hin zum melancholischen „Gloomy Sunday“ (auch bekannt von Heather Nova). Weil ihr annähernd nichts Musikalisches fremd ist, bewegt sie sich gleichermaßen souverän in den verschiedenen Zusammenhängen. „j.h.“ ist so gleichzeitig eine interessante Einführung in das Schaffen der faszinierenden Musikerin.

 

asian dub foundation /enemy of the enemy

labels /virgin

Die mittlerweile vierte Ladung Agitprop aus dem Hause der Londoner Asian Dub Foundation: Dub, HipHop und Breakbeat versetzt mit indischen Einflüssen in einer immer mitreißenden Mischung, in Szene gesetzt von Dub-Producer-Legende Adrian Sherwood (On-U-Sound). Gegen die Ausgrenzung seitens der Gesellschaft, in der sie leben, setzen die Migrantenkinder der Asian Dub Foundation Internationalismus und Netzwerkdenken. In ihrer Musik spiegelt sich das ebenso, wie es in dem Projekt „Community Music“ in London praktisch umgesetzt wird, aus dem die Foundation vor sieben Jahren hervorging. „Enemy Of The Enemy“ ist voller Kommentare zur aktuellen Lage, der Titel bezieht sich selbstverständlich auf die amerikanische Außenpolitik. „Fortress Europe“ richtet den Blick auf die Verhältnisse, in denen die Musiker selbst leben. Überraschend ist auf „Enemy Of The Enemy“ vor allem die Zusammenarbeit mit Sinead O’Connor in „1000 Mirrors“, einem düsteren Reggae-Stück, das die in letzter Zeit nicht besonders häufig in Erscheinung getretene Sängerin mit fragilem Timbre eindrucksvoll singt.

 

calexico /feast of wire

city slang /labels /virgin

Rund zweieinhalb Jahre ist es her, dass Joey Burns und John Convertino mit ihrem dritten Album „Hot Rail“ vom Insider-Tipp zu einer Konsensband mit beachtlichen Verkaufszahlen avancierten. Ihre beseelte Melange aus Singer/Songwritertum und den vielfältigen Spielweisen des Schmelztiegels Amerika von Mariachi-Sounds bis hin zu Walzern war so delikat wie umso zugänglicher, je mehr das skizzenhafte Element – auf dem Debüt „Spoke“ noch dominierend – zugunsten herzzerreißender Songs in den Hintergrund trat. „Feast Of Wire“ geht in dieser Hinsicht noch einen Schritt weiter als „Hot Rail“. Da hängt ein Wüstenhimmel voller Geigen, die Steel-Guitar von Paul Niehaus (Lambchop) singt eine Klage, die allen Schmerz dieser Welt in sich aufnimmt, und Joey Burns singt mit einer Stimme, deren Timbre mehr als einmal an das von Jeff Buckley erinnert, von Menschen, die nicht nur metaphorisch am Rande stehen – ein Auto fährt über die Klippe, dessen Fahrer nicht einmal Stevie Nicks mehr retten konnte.

 

soulo /man, the manipulator

plug research /efa

Auf ihrem zweiten Album zelebrieren die eklektischen Pop-Freidenker eine beeindruckend schlüssige Verbindung aus melancholischem Songwriting, elektronischen Experimenten und gediegenen Arrangements, die auch vor Dub-Bässen oder einer gesampleten Bluegrass-Combo nicht halt macht. Klar: Die Auflösung der Grenzen zwischen Rock und Techno (hier jeweils als Oberbegriffe vermeintlich konträrer Verfahrensweisen gemeint) schreitet seit Jahren unaufhaltsam voran und ist über den schnöden Crossover längst hinweg. Soulo stehen für ein musikalisches Denken, das Debatten wie die über Song vs. Track weit hinter sich lässt und ganz unbefangen Musik verschiedener Ären, Stile und Regionen plündert, ohne jemals zum musikalischen Gebrauchtwarenladen zu verkommen. Als ungefähre Bezugspunkte gibt das Label dann auch Beta Band, Flaming Lips und Sigur Ros an, die in der Tat jeweils auf ihre Weise ähnlich verfahren, ohne sich im Ergebnis allzu nahe zu sein. So steckt auch „Man, The Manipulator“ voller delikater Details, schöner Melodien und ungewöhnlicher Sounds.

 

various artists /we’re a happy family – a tribute to the ramones (columbia) Joey und Dee Dee sind von uns gegangen- da ist wieder ein Tribut fällig. Die bisherigen waren überwiegend unerfreulich. Dieser bietet zumindest einige interessante Versionen: Marilyn Manson verwandelt „The KKK Took My Baby Away“ in einen klaustrophoben Spuk, Chryssie Hynde gelingt eine einigermaßen anrührende Version von „Somsthing To Believe In“ und Tom Waits (!) klingt auch in einem Ramones-Song ganz nach sich selbst. Aber wer braucht ausgerechnet „Beat On The Brat“ von U2?!