Aus gegebenem Anlass


Am Freitag, den 18. Januar 2013 eröffnet im K‘ – Zentrum Aktuelle Kunst in Bremen eine Ausstellung mit Fotografien von Miron Zownir. Vor rund neun Jahren führte ich für das TRUST ein Gespräch mit Zownir, das es jetzt hier erstmals online zu lesen gibt. Anlass war damals die Veröffentlichung seines Romans „Kein schlichter Abgang“.

Miron Zownir

Im Sowohl als auch

Dass er in zwei Tagen 50 wird, kann er selbst noch nicht richtig glauben. Und man sieht es ihm auch nicht an. Der 1,90 m große Miron Zownir hat in seinem Kopf Stoff für tausend Bücher, wie er sagt. Und die Energie versprüht er auch. Zwar meint er etwas ruhiger geworden zu sein. Aber die Lust auf Neues blitzt immer noch aus den Augen des schlanken Glatzkopfs. Eine Sache wie den sechswöchigen Lehrauftrag an der DFFB bucht er unter „Erfahrung“ ab – keine Sache, die er sich auf Dauer antun möchte.

Schon seine eigene Biographie gibt Stoff für einen Roman epischen Ausmaßes. Von Karlsruhe nach Berlin in die USA – New York, Los Angeles, Pittsburgh – und zurück nach Berlin, eine Episode in Moskau und Petersburg, und nun wieder Berlin, eine Stadt, die er nicht liebt, auch nicht für ihre kulturellen Reichtümer, sondern in der er lediglich die Beziehungen gefunden hat, die er braucht, um seine Pläne umzusetzen, sofern er das nicht schon getan hat. Und getan hat er immer etwas. Wenn es nicht gleich das war, was er sowieso tun wollte, ließ er sich davon nicht abhalten, seine Ideen umzusetzen. Zuletzt erschien von ihm der Roman „Kein schlichter Abgang“. Der Anlass unseres Gesprächs, das im letzten Winter im „Sowohl als auch“ in Berlin stattfand.

„Es war mein erster Roman. Ich habe alles falsch gemacht. Ich wusste nicht das Genre, hatte die Story nicht, die Protagonisten haben sich verändert. Das war alles unglaublich intuitiv. Aus einer Stimmung heraus. Ich hatte Bilder und habe mich langsam herangetastet, musste erst die Charaktere finden und definieren.“

Wovon bist du ausgegangen?

„Ein paar Bilder, die erste Szene eigentlich. Ich hatte keine story outline. Und als ich gemerkt hab, dass man so nicht arbeiten kann, war es schon zu spät, da war ich schon zu sehr in dieser Story verhangen. Ich hing wie in einem Netz, hab rumgezappelt und echte Krisen gehabt. Aber am Ende hab ich doch alles zu einer Story zusammengefügt. Das sind unglaublich authentische Charaktere. Ich hab das geschrieben, so krank es auch ist. Ich hab dem Protagonisten Skollani diesen Ich-Charakter nur zugestanden, weil das für mich auch denkbar war, egal wie brutal oder krank oder zynisch das auch immer war. Der Charakter lebt sehr von mir. Es sind natürlich nicht meine Umstände. Aber ich bin schon ein Typ, der auch in Tiefen fallen kann, weil Hass und Liebe elementare Bestandteile von mir sind, denen ich auch nachgehe. Ich habe gelernt aus diesem Buch und weiß, dass ich alles ausdrücken kann, was ich will, wie man etwas gliedert, wie ich anfangen muss, wie ich Dinge vereinfachen kann. Obwohl ich schon immer schreiben wollte, kann man nicht einfach anfangen. Da gehört sehr viel Selbstbewusstsein und Erfahrung dazu. Ich hatte immer schon ein Sprachgefühl. Und ich konnte auch immer schreiben, aber die Dinge, die ich geschrieben habe, waren immer etwas anderes als ich mir vorgestellt hatte. Ich habe keine Geduld und habe mich von Visionen überrollen lassen, aber jetzt weiß ich, wie man zu dem kommt, was man ausdrücken will. Das war ein unglaublicher Erfahrungsprozess. Dieses Jahr, da hatte ich auch wieder eine schwere Krise, weil meine Freundin krank wurde, habe ich eine Novelle geschrieben in siebzehn Tagen. Das war die schlimmste Zeit meines Lebens und ich habe in siebzehn Tagen ein unglaubliches Werk geschaffen, während „Kein schlichter Abgang“ mit allen Unterbrechungen und Verzögerungen über zwei Jahre gedauert hat. Das ist unglaublich, aber ich hätte das in siebzehn Jahren nie geschafft, wenn ich nicht diese Erfahrung gemacht hätte. Ich habe in Pittsburgh gelebt, ich hatte ein Haus am Park, wie Skollani, aber es ist viel Imagination dabei, und daraus eine Symbiose zu schaffen… Es hat sich auch später ergeben, in welche Richtung es gehen würde. Und es ist auch schwer in ein Genre zu pressen. Ist es ein psychopathischer Krimi?“

Im Vorwort wird das Buch in eine Reihe mit Hardboiled-Romanen, mit Sam-Spade-Geschichten gestellt.

„Und ich finde das auch treffend. Viele Leute haben gesagt, eigentlich wartet man auf eine Fortsetzung. Und was mich auch verwundert, dass man gewisse Sympathien für Skollani entwickelt. Und da hab ich auch die Hosen runtergelassen. Es ist nicht absolut authentisch, aber ich hab mich in Gefilde begeben, in die sich nicht jeder traut, und schau mal, ich bin mein ganzes Leben zensiert worden, egal was ich tue. Diese Frage stellt sich für mich eigentlich nie. Wieviele Leute lesen das, wie wird das beurteilt, was für Konsequenzen hast das? Das macht mich einerseits aus, macht es authentisch, macht es aber auch schwierig, denn ich bin schlau genug zu wissen, dass wenn ich etwas in eine andere Richtung manipulieren würde, ich viel mehr Leute ansprechen würde. Ich könnte hier und da was retuschieren und so. Geschichten kann ich schreiben. Aber ich kann mich da nicht selbst verarschen. Ich schreib nur das, was mich wirklich interessiert. Und dann bin ich der Typ, der das in die Schublade schiebt, und dann ist es meine Freundin, die die Schublade aufmacht und fragt: Was soll das? Du hast jetzt so lange und so hart dran gearbeitet, jetzt ist es Zeit, dass du es mal jemandem anbietest. Ich bin kein Masochist, ich sehe auch gerne Bestätigung, ich will auch gerne… Ich hab zum Beispiel überhaupt kein Ohr für Kritik. Wenn mir einer mit Kritik kommt, sag ich, okay gut, behalt’s für dich… (lacht). Ich krieg ja auch keinen Orgasmus, wenn mich jemand lobt. Das ist nett, aber davon schwillt mein Ego nicht an. Wenn das der Antrieb wäre, hätte ich es mir einfacher machen können. Ich kreiere Welten, die mich faszinieren. Wie in meiner Fotografie. Ich hätte das auch anders machen können. Ich hätte es bunt fotografieren können, ich hätte ästhetische Akzente setzen können, ich hätte sexuelle Schwerpunkte setzen können. Die Homosexuellen haben mir vorgeworfen, dass ich zuviel unästhetische Homos fotografiert habe, dass es doch auch andere gibt. Aber es gibt auch genug andere Fotografen, die das so machen. Ich lass mir da von niemandem was vorschreiben.“

Du hast in den USA auch Filme gemacht.

„Ich hab zehn Kurzfilme gedreht, mit verschiedenen Leuten, die inzwischen entweder schon längst begraben sind oder in Hollywood Karriere gemacht haben. Mein erster Kameramann war Alexander Rockwell, der hat das Sundance-Festival gewonnen und für den Episodenfilm „Four Rooms“ eine Episode gemacht, der hat Karriere gemacht. Andere sind verschollen. Mein allererster Film, der von meinem Wiener Produzenten, der damals in New York lebte, produziert werden sollte, da hatte ich schon das Casting und alles, da gab es einen kleinen Punk, die kam immer in den Club, wo ich als Rausschmeißer gearbeitet habe, Danceteria, und ich hatte irgendwas in ihr gesehen, die hatte intensive Augen und ich hab sie für die Hauptrolle gecastet und sie wollte das auch machen, aber der Produzent konnte tausend Dollar nicht auftreiben. Weißt du, wer der kleine Punk war? Das war Madonna, ein halbes Jahr bevor sie ihre erste Platte rausbrachte. Man kann natürlich sagen: Scheiße, das hätte meine Karriere in eine andere Richtung gedrückt und gewisse Dinge einfacher gemacht. Aber einfacher ist nicht immer besser, und dadurch, dass gewisse Dinge schwerer wurden, ist vielleicht meine Arbeit auch intensiver und stärker. Bloß hab ich nichts davon, wenn das posthum ausgegraben wird. Da will ich doch ein bisschen Gas geben, dass ich davon profitieren kann, nicht andere. An meiner Arbeit werde ich jedenfalls nichts ändern…“

Wie hast du denn deine Filme gemacht, du sagtest, du hättest vor „Kein schlechter Abgang“ noch nie etwas geschrieben?

„Doch doch doch doch, ich hab alle Drehbücher zu meinen Filmen geschrieben. Ich habe auch einige Drehbücher verkauft nach Japan, an Hurakami („Tokyo Decadence“) hab ich eine 30-seitige Synopsis verkauft, aus der er einen Full-Feature-Film gemacht, der leider sauschlecht geworden ist. Ich hab auch einen japanischen Produzenten kennengelernt, der mir von so schwachsinnigen Projekten erzählte, und ich hab einen richtigen Tobsuchtsanfall gekriegt und gesagt: Mann, ich hab soviel auszudrücken und du redest so einen unglaublichen Scheiß. Du bist doch ein anderer Typ. Da fragte er, was ich anzubieten hätte. Wenn ich was hätte, würde er einen Film mit mir machen. Ich hab in einer Nacht eine Trilogie aus drei Kurzfilmen geschrieben und die hat er dann auch gemacht. Ich konnte immer schreiben. Ich bin jetzt Dozent an der DFFW. Jeder Student und jeder Professor jammert rum: Dialoge seien das Schwierigste was es gibt. Und jeder von denen hat Schiss vor Dialogen. Du könntest mich mit dem Hammer schwachsinnig prügeln und ich würde aus dem Koma aufwachen und könnte dir Dialoge schreiben. Das ist das Einfachste, was es gibt. Aber ich hab gemerkt, dort, die ganzen Synopsen, die ganzen Drehbücher die die geschrieben haben, kein einziger Dialog. Mir fällt das leicht. Und visuelle Beschreibungen, ich hab immer visuell gedacht.“

Das fällt auch bei deinem Roman sofort auf.

„Genau, der Traum für einen Kameramann, hahaha.“

Das ist ja schon eine klassische Form, außer dass das Ende offen ist…

„Und dass es vielleicht durch die Obszönität das Krimi-Genre sprengt. Gerade deswegen wird es auch nicht so erfolgreich wie Spillane. Aber ich will mich da nicht bremsen. Das Allerübelste was du tun kannst, ist wenn du dich selbst zensierst und dann auch nicht erfolgreich bist. Dann bist du das letzte Arschloch. Und das war ich nie. Ich kann zu allem, was ich je gemacht habe, stehen. Ich kann zum Beispiel sagen, es gibt bei meinen 13 Filmen Sachen, die ich heute anders machen würde. Andere würde ich immer und jederzeit uneingeschränkt zeigen. Manchmal musste ich während der Dreharbeiten vier Charaktere ersetzen, weil sich der eine ins Koma gesoffen hatte, der dritte schizophren war und so weiter. Ich musste immer improvisieren. Deswegen hab ich es auch geschafft, diesem Buch so eine Einheit zu geben, obwohl es erst nur Gedankenplätze waren. Das ist für mich auch das Besondere, dass es so entstanden ist. Aber wenn ich immer so schreiben müsste, würde ich in der Zwangsjacke enden. Die Kraft hab ich nicht.“

Du verfährst im Grunde entgegengesetzt zu Skollani. Es gibt immer Punkte, wo er seine Situation verbessern könnte, aber er lässt sich treiben.

„Passiv ist er nicht. Er hat ja immer wieder diese Jähzornattacken, wo er auszubrechen versucht. Aber auch einen unglaublichen Zynismus, und manchmal unheimliche Verwundbarkeit und Sensibilität. Diese Zerrissenheit. Aber du weißt, er wird nie aufgeben, selbst wenn er mal den ganzen Tag in seinem Zimmer sitzt und sich gehen lässt. Irgendwann wird er wieder aufstehen. Ich bin auch ein bisschen so. Ich bin auch zerrissen, ich bin sensibel, aber ich bin auch zynisch geworden. Das ist unvermeidlich. Der Charakter von Skollani hat schon viel mit mir zu tun. Natürlich waren meine Beziehungen anders als seine. Aber es wäre ja keine Kunst, wenn man alles eins zu eins übernehmen würde. Die Faszination für mich selber würde fehlen. Wenn ich meine Biographie schreiben würde, hätte ich einen anderen Anspruch, als bei dem Roman.“

Die Dozentenstelle, von der du erzählt hast, ist befristet?

„Ja, klar, da wäre ich gar kein Typ dafür. Ich habe auch überhaupt keinen pädagogischen Anspruch. Wenn jemand nicht mit mir arbeiten will, soll er es lassen, Ich dränge niemandem was auf. Ich kann denen viel geben, aber die müssen offen sein. Aber diesen Anspruch, es jedem recht zu machen, habe ich nicht. Deswegen bin ich immer nur für spezifische Projekte ansprechbar, ich würde mich nie in so einen Rhythmus drängen lassen. Seit ich dort arbeite, habe ich keine Zeile mehr geschrieben oder mich mit irgendwas Kreativem beschäftigt, außer mit dem, was mir dort angeboten wird. Wegen der Kohle ist es interessant, es ist eine andere Perspektive, es ist eine andere Auseinandersetzung, meine Kollegen sind okay, und der Rektor, Reinhard Hauf, ist ein Supertyp. Das ist auch interessant, aber sechs Wochen reichen mir.“

Du hast keinen Masterplan für die nächsten Jahre, Sicherheit zu erreichen?

„Nee, überhaupt nicht, das würde mich zu Tode langweilen, ich hab einfach noch zuviel auszudrücken. Ich könnte mich gar nicht irgendwo wohl fühlen, wenn ich meine Kreativität eindämmen müsste für materielle Sicherheit, das hätte ich viel früher schon beginnen können. Klar, man wird mit der Zeit schwach, feige, müde oder sonstwas… Natürlich kotzt mich’s manchmal an, wenn ich überlege, wieviel ich schon gemacht hab, dass ich immer noch von der Hand in den Mund lebe, überhaupt keine existenzielle Sicherheit hab, aber das war auch nie meine Priorität. Ich könnte mir tausend Dinge vorstellen, die ich mit Geld machen könnte, ich würde auch nicht nein sagen. Aber ich würde eher was Kriminelles tun, als mich selbst zu belügen. Genauso wie ich meine Freundin nicht anlügen könnte, könnte ich meine Kreativität nicht betrügen. Da hab ich einfach meine Grenzen.“

Was ist mit deiner Jugend? Du bist 1953 geboren. Die ersten Fotos in Radical Exe stammen aus den späten 70ern.

„Mitte der 70er ging ich nach Berlin, wo die Filmhochschule lockte, aber ich wurde abgelehnt. Ich hab von Gelegenheitsjobs gelebt, als Tagelöhner mit 4 Mark 50 die Stunde. Meine Freundin hat Photographie studiert. Da hab ich überlegt: Das Nächste zum Film ist Photographie. Dann hab ich ihre Kamera öfter benutzt als sie, hab angefangen, Dinge zu photographieren, die mich interessiert haben. Punk war damals eine starke Bewegung, gegen Klischees, Tabus. Das waren natürlich Freaks. Es war frisch, es war neu. 1978 bin ich nach London gezogen. Ich hatte diese Unruhe, ich musste etwas suchen. Photographie war nie die totale Erfüllung für mich, aber ich habe das lange gemacht, weil ich etwas ganz mache, wenn ich es mache. In London hab ich angefangen, eigenständig zu fotografieren, bin Leuten hinterhergelaufen, hab sie beobachtet. Ich bin kein scheuer Mensch, aber ich bin ein diskreter Mensch. Ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren würde, wenn jemand mich einfach so knipsen würde. Aber ich dachte: Die Leute können sich ja wehren. Einige haben das auch gemacht, auch physisch. In Moskau ist das sehr oft passiert, dass mich Leute von hinten angegriffen haben. Bei den Toten, da war es okay, daran vorbeigehen, aber dass man das dokumentiert, ging zu weit. Da war ich schon zynisch, radikal, aber ehrlich. Und ich hab mich auch nicht immer wohl gefühlt. Manchmal hab ich gekotzt oder geheult, wenn die Kamera weg war. Ich bin ja ein Mensch.“

Was war der Grund in die USA zu gehen?

„Amerika hat mich immer interessiert, das, was aus Literatur, Filmen und Photos über das Land erfahren hab. Ich bin 1980 nach Amerika, wusste nicht wie lange ich da bleiben würde. Es wurden sechs Monate. Ich hab da auch eine Frau kennen gelernt, wegen der ich, als ich nach Berlin zurückgekommen war, meine Freundin verlassen hatte, um mit ihr zusammenzuziehen und mit der ich 15 Jahre zusammen war. Dreieinhalb Jahre war ich illegal in den USA. Ich wollte Filme machen, schreiben, aber ich hatte nur meine Kamera und hab fotografiert. Das hat uns auch nicht die Kohle für die Miete gezahlt und die war hoch. Da musste ich mir was einfallen lassen, um zu überleben. Das darf ich dir gar nicht sagen… Da hab ich gemerkt, dass ich flexibel bin, dass ich ein Kämpfer bin, dass mir immer was einfiel. Aber es war schon ein unglaublich harter Druck. New York war zu der Zeit die faszinierendste Stadt der Welt. Wenn man das mit heute vergleicht, ist es unglaublich. In New York hat damals Narrenfreiheit geherrscht. Es war alles möglich. Das war wahrscheinlich der Höhepunkt der sexuellen Revolution. Dann gings bergab mit AIDS und den ganzen moralischen Ansprüchen. New York war nahezu bankrott. Die haben das natürlich gerettet, du und ich sehen das vielleicht anders, aber die Bürger finden es gut. Es ist sauberer und so weiter. Es interessiert die doch einen Dreck, wieviele Leute ihre Existenz verloren haben oder in den Irrenhäusern gelandet sind. Es ist unglaublich, wieviele Leute sich korrumpieren lassen. Leute, die auf einmal einen erfolgreichen Film machen und vorher die Super Freaks waren, völlige Außenseiter, die sich mit jedem arrangieren konnten. Plötzlich sind sie die größten Snobs, die ihre besten Freunde nicht mehr kennen. Es ist erschütternd.“

Es ist die Frage, ob sie sich wirklich verändert haben.

„Das ist die Frage, ob sie sich was vorgemacht haben. Es ist unglaublich, dass es trotzdem immer wieder Leute gibt, die anders sind, dass es immer ein paar Leute gibt, auf die man sich verlassen kann. Dann bin ich nach Los Angeles, das war natürlich auch ein Wahnsinnstrip. Ich hatte einen Produzenten, der einen Featurefilm mit mir drehen wollte. Der hatte mir aber gesagt, um den Film realisieren zu können, müsse er erst einen anderen Film auf den Philippinen vorziehen. Es hapere aber noch am Drehbuch, ob ich das nicht überarbeiten wolle. Ich habe drei Seiten gelesen und es weggelegt und gesagt, lass deine Finger davon. So ein hohler Scheißdreck. Ich war dann in LA, dann ruft er mich eines Tages an. Seine Geldgeber hatten alle abgesagt. Ich hatte drei Jahre daran gearbeitet. Ich hab den Hörer aufgelegt. Ich weiß nicht, wie lange ich katatonisch dasaß. Dann hab ich den Fernseher durch das geschlossene Fenster geworfen, gehe raus und dreh ’ne Runde, um mich zu beruhigen, komme zurück. Da stehen zwei Polizisten vor der Haustür, eine Frau und ein Typ, mit gezogenen Knarren. Ich wusste schon warum. Ich gehe hin und will ihnen erklären, dass es ein Fall von domestic violence war, dass niemand zu Schaden kam, dass es mein eigener Fernseher war, dass ich mich beruhigt habe. Sofort ziehen sie die Handschellen raus und wollen mich fesseln. Das nächste war Tränengas. Es ist so eskaliert, dass nachher sechs Bullenwagen und zwei Feuerwehrwagen vor Ort waren. Sie haben mich in den Wagen geprügelt, an Händen und Füßen gefesselt, und mich zur Wache gefahren. Auf dem ganzen Weg beleidigt mich der Bulle als Nazi, als Skinhead, als Schwein, und ich: You fuckin irish asshole! Ich musste mich ja auch wehren. Wir fahren in das Revier, die Tür geht zu, das war so eine Betonwand, hundert Meter haben die mich reingeschleift, immer noch gefesselt. Nach einer Weile steht der eine von der Schreibmaschine auf, ein anderer kommt vom Klo. Die nehmen mich zu viert hoch und rammen mich mit dem Kopf gegen die Wand. Als ich aus meiner Ohnmacht wieder aufgewacht bin, haben die mich wieder voll an die Wand gedonnert. Entweder die haben das Risiko in Kauf genommen, dass ich verrecke, oder sie wussten genau, wie hart sie mich schlagen mussten. Ich kam vier Tage in Einzelhaft. Nachher musste ich mich schuldig bekennen. Obwohl nur drei Tage Haft legal sind, hätten die mich sonst noch länger einsitzen lassen.. Dann ließen sie mich gehen. Meine Hand hätte beinahe amputiert werden müssen. Und jetzt kommt Clockwork Orange: Ich liege zu Hause mit Fieber und halluziniere. Da liest meine Frau in der Zeitung, dass der Typ, der mir die Handschellen angelegt hat, gesucht wird, weil er jemandem die Handschellen so hart angelegt hat, dass der unfähig war, die Hand jemals wieder zu bewegen. Meine Frau rief den Anwalt von diesem Menschen an und erklärte ihm, was mir passiert ist. Und weißt du, was der Mann gesagt hat? Er stehe ihr gern mit Rat und Tat zur Verfügung, aber er könne meinen Fall nicht übernehmen, weil er nur Homosexuelle repräsentiert.“

Solche Anekdoten schüttelt der Mann nur so aus dem Ärmel. Die Realität schlägt im Zweifelsfall immer noch jede Phantasie.

Drei Monate später zog er wieder fort, nach Pittsburgh – die Stadt, in der „Kein schlichter Abgang“ spielt. Eine trostlose, heruntergekommene Industriestadt, in der das Leben des Miron Zownir nicht so wahnsinnig viel anders aussah, als das seines Helden Skollani. Nur, dass Zownir schrieb. Über den ganzen Irrsinn, die Gewalt, die Armut.

„Pittsburgh hat wahrscheinlich die meisten Stahlbrücken der Welt, drei Flüsse und hat im Zweiten Weltkrieg mehr Stahl produziert, als Deutschland und Japan zusammen. Um die Jahrhundertwende war es eine der zehn größten Städte in den USA. Aber das war’s dann schon.“

Wie lange warst du in Pittsburgh?

„Zu lange. Aber ich habe trotzdem viel rausgeholt. Ich habe sogar ein Hörspiel geschrieben dort.“

In Radical Eye sind nicht wirklich Photos aus Pittsburgh, oder?

„Eins. Da hab ich auch nicht mehr photographiert, da war mein Schwerpunkt ganz klar. Ich hab da ein paar Filme gedreht. Ich war damals auch drei Monate in Alaska auf Fischfang, als in Pittsburgh gar nichts mehr lief. Da habe ich erstmal einen Monat in Seattle auf der Parkbank gepennt, um überhaupt an den Job zu kommen. Dann sind wir nach Alaska hoch und das Boot ist ständig zusammengebrochen, immer ist irgendetwas kaputtgegangen. Wir haben auch nichts gefischt und ich war jeden Tag seekrank. Nach den drei Monaten hatte ich keinen Pfennig verdient, meine Stimme war so kaputt vom ständigern Kotzen, dass ich nachher neun Monate nur flüstern konnte. Das war im Nachhinein eine Wahnsinnserfahrung. Wenn du seekrank bist, willst du dich nur in die nächste Ecke legen und schlafen. Wir mussten aber 24, 30 Stunden am Stück wach sein, um an einer Sache zu arbeiten, die uns schließlich überhaupt nichts einbrachte, weil wir nur prozentual am Fang beteiligt waren.“

Mittlerweile muss er nicht mehr Fischen. Aber die Arbeit endet natürlich nicht. Für die nahe Zukunft plant er ein paar Bücher, einen neuen Fotoband – Fasching in Köln, Lourdes, die Love Parade, spanische Geißler, ähnlich wie „Radical Eye“, aber eine andere Art von Brutalität. Filme. „Mir fehlt es weder an Ideen, noch an Arbeit, die ich schon geleistet hab, noch an Arbeit, die ich noch leisten kann.“

Wie ist es für dich, jetzt schon so lange in Berlin zu leben?

„Ich hab schon ein paar Mal gedacht, es wird Zeit, abzuhauen. Aber jetzt hab ich hier gerade gute Kontakte, und ich wüsste auch nicht, wo ich hinsollte. Es geht gar nicht anders. Es müssen jetzt erstmal ein paar Sachen passieren. Ich bin 1981 mit zwei Koffern nach Amerika gezogen und 1995 mit zwei Koffern zurückgekommen. Wenn ich jetzt aufbrechen würde, würde ich wieder mit zwei Koffern aufbrechen. Aber irgendwann hast du die Reserven nicht mehr. Ich fühle mich zwar hier nicht so wahnsinnig wohl, aber Berlin ist auch eine kreative Stadt. Mir ist es hier zu grau, mir fehlt Sonne, Ausblick, Weitblick. Aber in einer anderen Stadt würde mir vielleicht was anderes fehlen. Mal sehen, wie es weitergeht. Neue Impulse von außen brauch ich nicht mehr. Ich hab genug Impulse bekommen für 2000 Bücher und 10000 Filme. Das ist manchmal mein eigener Anspruch, mal einen anderen Horizont zu sehen, ich bin immer noch ein Abenteurer, der sich gern überrraschen lässt. Nicht, dass Berlin langweilig wäre, aber es reizt mich schon. Aber wichtiger ist, dass ich hier eine Basis hab, wo ich schreiben und vielleicht Filme machen kann. Wenn das nicht mehr geht, bin ich der erste, der die Koffer packt, aber ich muss auch nicht weghetzen.“

„Radical Eye“ und „Kein schlichter Abgang“ oder auch Zownirs Filme, wie der über den Berliner Hinterhofmusiker Bruno S. zeigen die hässliche Seite der kapitalistischen Gesellschaft. Ähnlich wie die Romane Hubert Selbys. Hoffnungslos, zumindest für die meisten der Menschen, die hier gezeigt werden. Bei Selby wie bei Zownir sind sie zu sehen, wird ihre Anschauung nachvollziehbar, mitsamt der Verheerungen, die Elend und Not anrichten können. In diesem Sinne ist auch „Kein schlichter Abgang“ ein aufklärerisches Buch.

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Vor zehn Jahren


kündigte ich ein Konzert mit Joey Burns & Friends im Sendesaal an

taz Bremen 29.1.2003

Exklusiver Genuss

Joey Burns & Friends spielen im Sendesaal

Eine Erfolgsgeschichte: Joey Burns und John Convertino beschlossen, neben ihrer Hauptband Giant Sand, bei der sie als Begleiter von Howe Gelb fungierten, und nach Friends Of Dean Martinez ein gemeinsames Projekt zu initiieren.

1995 nahmen sie ein erstes Album auf, noch unter dem Namen Spoke, den sie später gegen Calexico eintauschten: der Name einer Grenzstadt zwischen Mexiko und den USA, nun der Name einer Band, die in ihrer Musik Spielweisen von beiden Seiten dieser Grenze amalgamiert und in ihren Songs von den Folgen dieser Einrichtung staatlicher Gewalt singt. „Spoke“ – so der Titel jenes ersten Albums – spielt herum an Country, Blues, Walzer, Mariachi, Jazz, Field Recordings, Singer/Songwriter-Folk. Ein beeindruckendes Patchwork, erschienen beim deutschen Indie-Label Hausmusik.

„Black Light“ und „Hot Rail“, die folgenden Alben, machten aus dem Nebenprojekt einen Vollzeitjob. Mit dem am 10. Februar erscheinenden „Feast Of Wire“ werden Calexico wohl endgültig zum Konsensphänomen: Geradezu klassisch das Songwriting, üppig die Arrangements da, wo es ihnen wohl ansteht, und wo nicht, aufs Notwendige reduziert, gleichzeitig immer noch verschrobene Miniaturen eingeflochten, die Themen so – scheinbar -ewig wie der Alltag der hart arbeitenden Menschen aus dem Süden Nordamerikas.

Darüber werden Sie noch Bände lesen können. Der Besuch des Seendesaals von Radio Bremen wird indes ein ganz exklusives Ereignis sein. Hier spielt Joey Burns, Calexicos Sänger und Multiinstrumentalist, mit Martin Wenk und Volker Zander ein exklusives Trio-Konzert, bevor die reguläre Band-Tournee folgt. Eine werkgetreue Aufführung von „Feast Of Wire“ ist am Donnerstag nicht zu erwarten, eher, dass die Musiker die Gelegenheit nutzen, aus dem Material Neues zu gestalten. Ganz wie Burns und Convertino auf ihrer Mini-Tour im Dezember, als sie zu zweit ebensoviele Shows unter dem Namen Spoke spielten. Das Skizzenhafte, die Improvisation – hier war wieder zu hören, was am Anfang stand. Bei Menschen wie diesen ein Genuss.

Vor zehn Jahren


taz Bremen 20.1.2003

„Liebe …

… unter den Bedingungen der Metaphysik“: Nina Hagens Zwischenlandung im Schlachthof

taz Ganz unverhofft kam Bremen in den Genuss eines Auftritts von Nina Hagen. Zumindest gab es bei Erscheinen des letzten Albums „Om Namah Shivay“ keine Tournee als Werbemittel – wäre auch aufwändig gewesen, Nina Hagen hätte dazu die „Om Heriakhandi Band“ aus Indien einfliegen lassen müssen.

In Bremen dagegen: Hagen und ihre Rockband, beide angenehm unroutiniert. Die Hagen konnte nicht mal alle Texte auswendig, was aber nicht unbedingt ein Problem sein musste: Die Individualismus-Hymne „My Way“ beispielsweise legt nahe, sie auch mit einem gerüttelt Maß individueller Freiheit anzugehen.

Aber auch andere Fremdkompositionen mussten einiges über sich ergehen lassen, vor allem durch die stimm- und grimassiergewaltige Hagen selbst. „Zero Zero Ufo“ von den Ramones wurde indes vom Schlagzeuger sabotiert, der sich offenbar in das Tempo eines mittelschnellen Punkrock-Songs nur unter Androhung von Sanktionen hineinsteigern konnte.

Ansonsten war die Lohnarbeiterband nur Staffage für das exaltierte Fabeltier Nina Hagen, das zwar in Interviews immer wieder mit Punk kokettiert, aber in Wirklichkeit – und das erzählt Nina Hagen auch nach jedem dritten Song – in einer Parallelwelt voller Ramas, Lamas und Krishnas ewigen Aufenthaltsstatus genießt.

Zwar hat Nina Hagen stimmlich in den Höhen ein paar Spitzen eingebüßt, dafür aber in den unteren Lagen zugelegt. Zusammen mit ihrem komödiantischen Talent eine unwiderstehliche Kombination, der es zu verdanken ist, dass ihre Botschaft, die im wesentlichen „Liebe unter den Bedingungen der Metaphysik“ heißt, auch einem säkularisierten Publikum nicht allzu sauer aufstößt.

Fundamentalisten dürften mit der Hagen-Vision, in der „My Sweet Lord“ von George Harrison, Hare Krishna, Mutter Erde und die Gottheit des Rock’n’Roll alias Ramalamadingdong nebeneinander umhergeistern, sowieso ihre Probleme haben. Nina Hagen lässt sich da nicht von sauertöpfischen Verzichtsmoralisten dreinreden, und sie ist viel zu gut drauf, als dass sie merken würde, wohin das alles führen kann. Das wollte auch am Samstag im ausverkauften Schlachthof niemand so genau wissen.

Ein Fan hatte gar ein verfrühtes Geburtstagsgeschenk mitgebracht: Ein Stoffentchen, das von der Diva unter zahlreichen Grimassen entzückt entgegengenommen wurde. Danach sang sie Nirvanas „All Apologies“ – insgesamt eine Reihe Songs also von großen toten Rockstars (Joey Ramone, Kurt Cobain, Harrison u.a.). Aber schließlich sind wir ja alle unsterblich.

Die einzigen Stücke, bei denen sie keine Mine verzog, waren hinduistische Gebetsgesänge. Das könnte uns zu denken geben, muss es aber nicht. Lieber dahinschmelzen bei „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“, das Hagen furios vortrug, Endsilben auf hocheigene Weise dehnend und verbiegend.

Hinter der Bühne saß derweil schampusschlürfend Mutter Eva-Maria und freute sich über ihre Tochter. Und war eins mit dem Publikum, das noch jubelte, als Nina schon in dem Ufo saß, das vor der Tür mit laufender Turbine wartete.

Gbt’s die noch?


Die Lage scheint nicht eindeutig. Gesehen haben wir sie damals gern, Schweinhund aus Norwegen.

taz Bremen 28.1.1998

Die Vorschau

Hardrocks böser Zwilling

 Schweinehund & Messerknecht pflügen die Buchtstraße um

Schweinhund aus dem norwegischen Oslo haben einen erlesen schlechten Geschmack. Die Phase, in der Rock zum ersten Mal wirklich fast gestorben wäre, die mittleren siebziger Jahre, als haushohes Orgelgetöse mit dem Ausdruck schweren Bildungsdünkels auf den kleinen Rock’n’Roll von der Straße niederfuhr, ihn fast erdrückte und zur Flucht nach vorn (in den Punkrock) zwang – diese Phase nehmen Schweinhund als Bezugspunkt für ihr eigenes Wirken und Weben. Ein Blitz, ein schwerer Akkord von der monströsen Rainbow-Orgel, brommmm, ein infernalisch-fanfarischer Bratakkord von der Gitarre, und ab geht es in die Niederungen des 70er-Jahre-Hardrock. Uriah Heep und Rainbow stehen betreten lächelnd im Hintergrund und wissen nicht, sollen sie sich über den kleinen Bastard freuen, der da so offensichtlich inspiriert ist von ihren alten Heldentaten. Irgendwie wirkt er nämlich auch ein bißchen unverschämt, und außerdem knödelt der Sänger weder wie David Byron noch wie Ronnie James Dio. Aber immerhin haben die Leute Haare fast bis zum Boden (manchmal verwickeln sie sich in den Tremolo-Hebeln ihrer Gitarren). Ein feistes Rockvergnügen der doppelbödigen Art.

Bremens Messerknecht halten sich da weit weniger bedeckt, was das Haupthaar angeht. Und musikalisch ist auch weniger Hinterfotzigkeit angezeigt. Dafür gibt es eine krustige Mischung aus Metal und Hardcore, wohlversehen mit Breaks und Schlenkern. Wie gerüchtweise zu vernehmen war, übrigens morgen zum letzten Mal in bekannter Form. Jacke will nämlich in Zukunft nicht nur singen und Gitarre spielen, sondern auch elektronisches Gerät bedienen.

Daß dabei etwas in der Art von Prodigy entstehen soll, behaupten nur böse Zungen. Die neue Generallinie steht nämlich noch gar nicht fest. Nur, daß sie etwas weniger verfrickelt sein soll, und „mehr auf die Fresse“. Heute also noch einmal der gute und alte, tritonus-infizierte Messerknecht-Stil, der schon Vergleiche mit Helden wie No Means No, Helmet und Voivod evoziert hat. Immer noch einer von Bremens geheimsten Insidertips.

Vor zehn Jahren


…galt es sich noch, mit Emo zu befassen:

taz Bremen 11.1.2003

Im Schatten des Emo

Die Get Up Kids und Koufax trieben im Schlachthof die Überproduktion des Emocore voran

Manche Sachen kommen wahrscheinlich nie wirklich aus der Mode. Stromgitarren zum Beispiel. Und Songs, in denen jemand davon singt, wie ihm das Herz pocht beim Gedanken an einen geliebten Menschen, der vielleicht gerade fort ist, vielleicht für immer. Das hat dann nichts mehr mit Mode zu tun, sondern nur noch mit Emotion, kurz „Emo“, gleichzeitig Name für eine nicht exakt bestimmbare Musik, in der nicht wenige den Soundtrack ihres Lebens entdecken.

Ins „Genre“ gehören so unterschiedliche Bands wie At The Drive-In, Jimmy Eat World und die Get up Kids. Letztere überraschten unlängst mit „On A Wire“, einem Album, das ganz unverfroren bei den Klassikern borgt. Akustische Gitarren, von den Beatles beeinflusste Gesangssätze, die gänzliche Abkehr von „Core“, dem Wörtchen, das bisweilen noch hinter „Emo“ ein Schattendasein fristet und mit zunehmender Tendenz gänzliche verschwindet.

Am Donnerstagnachmittag spielten die Get Up Kids eine Show in einem Plattenladen in der City – unplugged. Und auch am Abend im Schlachthof klang vieles nach rustikalem amerikanischen Rock. Die üblichen Verdächtigen finden sowas natürlich ganz langweilig, weil die alten Platten wieder mal viel besser sind. Die nicht gerade berstend volle Halle indes empfing Get Up Kids samt Vorband freundlich.

Im Vorprogramm spielten zunächst Koufax, wie die Get Up Kids unter den Fittichen des amerikanischen Independent-Labels Vagrant-Records, deren Vertrieb in Deutschland der Gigant Universal übernimmt. Auch bei Koufax war von „Core“ nichts zu hören. Und Rocker-Posen gab es ebenfalls keine. Dafür gediegene Pop-Songs mit starker, nicht zuletzt stimmlicher Affinität zu The Cure, von denen Koufax auch einen Song coverten.

So richtig Stimmung gab es aber erst bei den Get Up Kids, die neben neueren Songs – und übrigens ebenfalls einem von The Cure – auch ältere Hits anstimmten, bei denen der Mob mitsingen durfte. „It’s Like 1984“ kam es von der Bühne und die Menge setzt sich langsam in Bewegung – nachdem vor allem die ruhigeren neuen Songs eher in stiller Ergriffenheit begutachtet wurden.

Wahrscheinlich ist die Rückkehr zu den musikalischen Vorbildern der eigenen Adoleszenz ein durchaus fruchtbarer Ausweg in die Zukunft: Die Get Up Kids kommen aus dem mittleren Westen der USA, einer Region, die von Leuten wie Tom Petty und John Cougar Mellencamp nachhaltig infiziert und mystifiziert wurde.

Denn manche Dinge kommen – wie gesagt – nicht aus der Mode. „Emo“ wahrscheinlich schon, deutet man die mittlerweile kaum noch überschaubare Masse an Veröffentlichungen als die Überproduktion, die als Übersättigung unweigerlich in die Krise führt.