Annäherungen an die freie Improvisation (erschienen in TRUST #97):
GREG GOODMAN, MATS GUSTAFSSON, GEORGE CREMASCHI – ‚They Were Gentle And Pretty Pigs‘
Die freie Improvisation – endlose Weiten voller Widersprüche. Die Besatzung von Pianist Goodman, Bassist Cremaschi und Saxophonspieler Gustafsson steuert durch einen Raum, dessen Koordinaten allein von den Möglichkeiten ihrer Instrumente vorgegeben sind. Und von der beinahe völligen Vermeidung dessen, was den freien Flug ab davon lenken könnte. Eine Grenze der vermeintlichen Freiheit? Und wenn nur eine, die schon lange zurückgelassen wurde, von den Pionieren des freien Spiels, über das Felix Klopotek gerade ein Buch veröffentlicht hat, mit dem sich noch zu beschäftigen ist.
Prag: Der Saxophonist Evan Parker spielt mit Goodman und Cremaschi in einem Club nahe des Schlosses. Das Trio ist auf Tournee durch Tschechien. Tage später in Tabor: Während einer längeren Diskussion über freie Improvisation, deren Zweck und Wohin bei böhmischen Bieren mit George Cremaschi, erzählt er auf meine Frage, inwieweit sich in den Konzerten nach einer Weile Strukturen herausbildeten, dass dergleichen durchaus geschehe. Läuft das nun dem Gedanken der freien Improvisation zuwieder – oder ist sie nunmehr ein Genre mit mehr oder minder ausgeprägten Konventionen, wie jedes andere auch? Was kommt, wenn alle Verbindlichkeiten – abgesehen von denen, die sich daraus ergeben, dass hier Menschen miteinander spielen – scheinbar aufgelöst sind? Postmoderne Beliebigkeit womöglich?
Oder – und das scheint das Sinnvollste zu sein – man nimmt die „freie Musik“ eben wie jede andere und betrachtet sie mit den gleichen Maßstäben, deren wichtigster der Geschmack ist. Es grunzt, es quietscht, es lärmt, es schweigt, es schreit – und es rockt. Neun so genannte Movements aus zwei Sessions im Februar 1999 sind auf „They Were Gentle And Pretty Pigs“ verewigt. Wie bei jeder Musik, die einen radikalen Bruch mit dem darstellt, was Hörgewohnheit ist, kann das eine verstörende Sache sein. Wie eine andere Sprache, von der man zunächst nichts versteht. Bei näherer Bekanntschaft besticht das hohe Maß an Energie, die Spannung und die Momente schlichter Schönheit, die sich zwischen den Ausbrüchen dieser Platte finden lassen.
The Beak Doctor; http://www.thebeakdoctor.com