Auch vor zehn Jahren zu Gast in Bremen: Jon Spencer


taz Bremen 4.11.2002

In engen Hosen

Jon Spencer gab im Schlachthof eine solide Vorstellung – nichts für alte Säcke, die schon alles kennen

Einerseits wäre es ja schon ganz schön geil, hier eine von diesen „Alte Säcke“-Kritiken zu schreiben: Vor zehn Jahren im Wehrschloss gesehen, als sie das erste Mal auf Tour waren. Da war Jon Spencer’s Blues Explosion – natürlich – geiler, auch wenn, ach ja, seine wilden Zeiten da auch schon etwas länger vorbei waren, schließlich waren schon die letzten Platten seiner alten Band „Pussy Galore“ nicht mehr ganz das Wahre gewesen.

Die, wenn auch gebrochene, Neigung zu den Archetypen amerikanischer Popularmusik musste schließlich auch schon im Schaffen „Pussy Galores“, die anfangs höchst wüst Rockmusik auseinander genommen hatten, als Rückschritt wirken. Aber selbst wenn man sich mit Spencers Wandlung abgefunden hätte, die mit dem aktuellen Album („Plastic Fang“) nur noch nachdrücklicher zementiert wird (hat sich Spencer doch hier von echten Klassikern wie „Funkadelic“-Keyboarder Bernie Worrel und dem legendären Dr. John assistieren lassen), selbst dann bliebe immer noch zu sagen, dass die „Blues Explosion“ im Schlachthof ihrem Namen nicht ganz gerecht wurde – weit weniger als zuletzt in Hamburg.

Mit diesem die Allgemeinheit ausschließenden Gemeinplatz hätte man sich dann endgültig mit dem normalen Konzertbesucher verkracht, der schließlich einen Monat Taschengeld (in Zahlen: 19 Euro) aufgewendet hatte, um an einem der wesentlichen gesellschaftlichen Ereignisse des Monats teilzuhaben. Da möchte man sich ja im Nachhinein nicht auch noch sagen lassen, dass die Veranstaltung, die man da besucht hat, viel mehr als „ganz nett“ nicht gewesen ist.

Andererseits ist diese Pose nicht nur von unfreiwilliger Komik, sondern natürlich auch nichts anderes als Angeberei. Die Wahrheit ist: Jon Spencers Blues Explosion gab eine solide Vorstellung. Anders als auf „Plastic Fang“ war der Bandsound wieder bis auf die Knochen reduziert, und nach einer recht schnell überwundenen Aufwärm-Phase gab die Blues Explosion ihrem Publikum, wonach es verlangte. Spencer rief zu jeder passenden und auch einigen anderen Gelegenheiten „Blues Explosion“ ins Mikrophon, vollführte die drei Tanzschritte, die seine hautenge schwarz glänzende Lederhose noch zuließ, und sah gewohnt sexy aus. Musikalisch spielte sich das bekanntlich unorthdox ohne Bass besetzte Trio aus einem Schlagzeuger und zwei Gitarristen durch die über zehn Jahre währende Band-Historie, wobei dann ungeachtet der auf den Platten nachzuvollziehenden Entwicklung doch wieder alles gleich klang. Gratulieren musste man Spencer aber am ehesten noch zur überraschenden Wahl der Vorband: „Techno Animal“ spalteten das Publikum höchst eindrucksvoll in wenige, die den lärmenden Brachial-Techno liebten, und viele andere, die die beiden Briten schon bald nach Hause schicken wollten. Da kommt dann im Rocker der eigene Musiklehrer durch, der behauptet, dies sei nun wirklich keine Musik mehr, aber das ist eine andere Geschichte.

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Gestern nochmal besprochen…


wie geil die Typen sind:

taz Bremen 2.11.2002

Traumgewandelt

Motorpsycho zeigten im Schlachthof ihre Liebe zu Jazz und Avantgarde-Rock. Ergebnis: Euphorie im großen Stil

Konzerte von Motorpsycho sind auf mindestens zwei Ebenen interessant: Zum einen löst die Band aus Trondheim mit einer gewissen Regelmäßigkeit ein, was der Besuch eines Rockkonzerts im besten Fall verheißt (Euphorie und so weiter), zum anderen bleibt interessant, mit welchen Mitteln Motorpsycho vorgehen.

Was ersteres angeht, haben Motorpsycho am Donnerstag im ausverkauften Schlachthof wieder voll hingelangt. Scheinbar erreichten sie dieses mit alten Mitteln, indem sie viele alte und älteste Stücke spielten, innert derer sie dann häufig in den Duktus des Improvisierens verfielen, der ihre Konzerte Mitte der Neunziger in stundenlange Trip-Rock-Exzesse verwandelte. So auch jetzt wieder, wenn das mittlerweile traumwandlerische Zusammenspiel der Band in Soundkathedralen kulminiert, in denen die immer noch relativ schlichte Improvisationssprache neue Facetten zeigt. Die dann wiederum in den eingestreuten knappen Pop-Songs wiederzufinden sind.

In den neuen Facetten könnte der Schlüssel für die zukünftige Entwicklung liegen: Motorpsychos jüngstes Album mit dem halbironischen Titel „It’s A Love Cult“ hinterließ schließlich mehr Fragen als Antworten. Der orchestrale Pop, auf Alben wie „Let Them Eat Cake“ und „Phanerothyme“ erforscht, wurde erfolgreich in die Klangwelt Motorpsychos integriert. Und nun? Am Donnerstag gab es wenig aus dieser Pop-Zeit zu hören, und wenn, waren es eher die merkwürdigeren Stücke, wie „Stained Glass“ oder „Painting The Night Unreal“.

Was Motorpsycho auf ihren „Roadworks“-Live-Alben probieren, könnte so womöglich in einer gründlich verdauten Form auch zunehmend die „Hauptwerke“ beeinflussen: Eine Vorliebe für freien Jazz und Avantgarde-Rock. Schwere Drones und die gelegentliche Überwindung der tonalen Vorgaben des Genres „Rock“ trugen dem am Donnerstag Rechnung. Und die einzige Fremdkomposition – ein Song von MC5, bei denen sich Punkrock und Sun Ra schon in den 60-ern keinesfalls ausschlossen.

Dass den Norwegern unterdessen eine immer größer werdende Schar von Fans nachfolgt, die auch größere stilistische Kapriolen mitschlägt, liegt wohl daran, dass Motorpsycho ihr Spiel nicht strategischen Überlegungen unterordnen, sondern einfließen lassen, womit sie sich gerade beschäftigen.

Wenn die Ergebnisse gelingen, werden sie auch veröffentlicht. Von der Band benutzte Papiertaschentücher, wie sie nach dem knapp zweieinhalbstündigen Konzert von euphorisierten Fans als Devotionalien eingesammelt wurden, gehören da auf eine ganz verquere Art auch dazu, ohne dass man das der Band irgendwie anlasten könnte.

Couch, gibt’s euch noch?


taz Bremen 22.12.1997

Familiensachen

 Verschachtelt-schwellend: Zu Besuch bei Couch im Lagerhaus

Ein Hauch von Exklusivität, von Musikern meist weit weniger geschätzt als von den Leuten, die eine Band ab dem Zeitpunkt nicht mehr mögen, wo sich so etwas wie Erfolg einstellt, dieser Hauch wehte am Samstag durch das Lagerhaus. Auch wenn Couch durchaus hippe Referenzen vorweisen können, kamen gerade mal vierzig Leutchen, um sich – ganz ungestört – bei Couch zu vergnügen.

Sie sahen eine Band, die ungefähr eine Stunde lang hochkonzentriert instrumentale Musik spielte. Fachleute zogen wissend die Augenbrauen hoch und murmelten sich anerkennend wie kennerhaft Wörter wie ,Slint‘ in die Ohren. Über einen 5/4-Takt oder einen aufs schönste rollenden 7/4-Takt spielten Couch Verschachteltes und Schwellendes von leisem Geschrängel bis zum schroff verzerrten Akkord. Immer schön durchkomponiert und straff arrangiert. Dabei lag der Akzent eindeutig auf dem Takt, auf der rhythmischen Fügung und nicht so sehr auf dem Schwelgen in extravaganten Akkorden. Gegen Ende, da waren Couch schon latent euphorisiert, spielten sie durchaus den einen oder anderen raumgreifenden Schönklang, wirkten auch insgesamt freier im Spiel und ließen nebenher erahnen, was von ihnen noch erwartet werden darf. Eine Herangehensweise, die an elektronische Musik erinnert, gehört aber nicht dazu, auch wenn die mal in der Süddeutschen Zeitung diagnostiziert wurde. Couch spielen zeitgenössische Rockmusik, und das ist gut so. Warum sollte man durch den Verweis auf Modetrends noch Relevanz erzeugen wollen?!

Eine schon bei Konzertbeginn angekündigte Überraschung ließ dann den Abschied nicht mehr gar so schwer fallen. Der Fahrer und Plattenverkäufer von Couch gab nämlich mit Bundfaltenhose, graumelierten Haaren und einer Gitarre so etwas wie den Großonkel von Tocotronic, den, der schon damals alles besser wußte. Das dauerte zwar nur drei Stücke lang, reichte aber aus, um das Publikum gehörig zu dezimieren.

Um Himmels Willen


taz Bremen 17.11.1997

Weltschmerz aus der Leichenhalle

 Durchgestylt und gut gelaunt mit schlechter Stimmung: Die amerikanische Gruppe 16 Horsepower konzertierte im Moments

Eine Hamburger Band namens Fink hatte einen undankbaren Job. Sie sollte das Publikum auf den Hauptact einstimmen. Ihre Country-Songs mit dezentem Blues-Einschlag in deutscher Sprache rissen die Anwesenden am Sonnabend im Moments immerhin zu einem freundlichen Applaus hin. Doch eigentlich warteten sie auf 16 Horsepower. Schließlich kommen die aus dem Mutterland der ländlichen amerikanischen Musik – Country, Cajun und Bluegrass – und vor allem des Blues. Außerdem singen sie dabei in Englisch, und das scheint immer noch die einzig mögliche Sprache für diese Art von Musik zu sein, wie der direkte Vergleich mit Fink zeigte.

16 Horsepower boten hingegen keinerlei Angriffsflächen. Auch wenn es von den fünf Musikern aus Denver nicht geplant gewesen sein mag: In seiner Dramaturgie und seiner Optik wirkte der Auftritt des Quintetts perfekt durchgestylt. Morbide Songs von Gräbern, verlassenen und einsamen Männern, von Jesus, Tod und Teufel, sämtliche Dämonen der amerikanischen Folklore spukten durch die Songs.

Die Musiker selbst sahen aus, wie einer Vaudeville-Show der Jahrhundertwende entsprungen, ihrer Mimik nach zu urteilen hätten sie aber auch ein Beerdigungsinstitut auf Wochenendausflug sein können. Vor allem der zweite Gitarrist verzog über die gesamte Distanz keine Miene, schaute auch noch traurig drein, wenn die Band zu rocken begann. Das geschah öfter mal, und sie rockten dann auch wirklich, aber nicht aus Lebensfreude, sondern eher mit dem Impetus von Getriebenen. Besonders David Eugene Edwards, der seinen Vortrag wahlweise mit Mandoline, Gitarre, Banjo oder auf einem barock verzierten Akkordeon begleitete, gab den leidenden Künstler mit unstetem Blick und großer Inbrunst. Seine dramatisch vibrierende Stimme erinnerte an große Blues-Sänger wie Nick Cave, Jeffrey Lee Pierce und Hank Williams.

Der Mann, der angeblich von seiner Mutter schon als kleiner Junge ins Leichenschauhaus mitgenommen wurde, wäre wahrscheinlich auch ganz allein in der Lage gewesen, die Blicke der Anwesenden an sich zu fesseln. So verzichtete er teilweise völlig auf die Begleitung seiner Band, die sich wahrscheinlich hinter der Bühne mit Jack Daniels über ihren Blues hinwegzuhelfen suchte. Das eher ältere Publikum sah offensichtlich gern zu, wie da jemand seine Seele bloßlegt und nicht einmal Lebensfreude versprüht, wenn die Band einen Walzer spielt. Ein einziges Mal überzog ein Lächeln das Gesicht des Herrn Edwards, als die Band zur ersten von zwei Zugaben wieder auf die Bühne kam und die enthusiastischen Akklamationen des Publikums ihn wohl doch beeindruckten.

Bei der zweiten Zugabe rockten 16 Horsepower dann gar so beherzt, das dem Manne schon während der ersten Takte die gerade erst entzündete Zigarette aus dem Mund fiel. Das Ende: Ein höfliches Dankeschön, man wisse sehr zu schätzen etc., Abgang, Vorhang, Begeisterung. Ein gelungenes Konzert.

Vor zehn Jahren in Bremen


taz Bremen 1.11.2002


Brillen des Grauens
„Erase Errata“ setzten mit humanistischen Zynismus und furchtbaren Sehhilfen in der Friesenstraße

Als „Disco Punker“ werden sie mancherorts bezeichnet. Doch bis Erase Errata im Freizeitheim Friesenstraße in den spröden Groove fand, der ihnen diesen Ruf einbrachte, brauchte es seine Zeit. Ein Abend mit Anlaufschwierigkeiten eben.

An dem „Disco Punk“-Ruf aber ist sogar etwas dran. Erase Errata haben ihre Wurzeln nicht zuletzt im (Post)Punk und Wave, wie er in den frühen Achtzigern vor allem in New York gespielt wurde. Jazz, Disco, Noise hielten damals Einzug in den Rock’n’Roll.

Im Moment ist das wieder populär. Radio 4, The Faint, Liars, Winterbrief, Life Without Buildings und andere sorgten jüngst im Untergrund mit einer Musik für Furore, die sich aus solchen Einflüssen speist.

Erase Errata beziehen sich zudem auf eine mehr oder minder explizite Agitprop-Linie nach Le Tigre sowie auf einen in der Gegend um San Francisco verbreiteten Hang zu progressivem Rock im allgemeinen und Captain Beefheart & The Magic Band im besonderen – ein Erbe, das hier in verqueren Takten und einem schneidenden Gitarrenton lebt. In der Summe ergibt das eine Band, wie man sie auch in San Francisco nicht an jeder Ecke findet. Sonic Youth, Le Tigre und John Peel gehören bereits zu den Förderern der Band – was sich in Bremen noch nicht herumgesprochen hat.

Eine Sensation bekamen die immerhin knapp 80 Zuschauer in der Friese nicht zu sehen, aber eine Band, die nicht nur Akzente in furchtbarer Brillenmode setzte, sondern auch während ihres prägnanten Sets, bei aller Kantigkeit des Grooves, aller Schroffheit im Ton, zunehmend mitreißend agierte.

Und dann gab es da noch Zeilen, die aufhorchen ließen: „we are the reasons for the gated communities“, „picture yourself alive“. Stell dir vor, du lebst. Ganz der alte vitalistische wie humanistische Zynismus des New Wave. Immer noch ein gutes Konzept.

Das Böse in der Musik


war vor fünf Jahren Thema eines Artikels für die Zett.

Böse Onkels?

Haben die alten Recht, die immer gesagt haben, der Rock’n’Roll sei Teufelszeug? Weil er junge Menschen zu ekstatischem Tanz, enthemmtem Leben, wüsten Frisuren, vorehelichem Sex und Drogenkonsum verführt? Man muss nicht lange suchen, um zumindest festzustellen, dass es nicht erst die Rockmusik war, die mit allem, was nicht gut, ergo böse ist, in Verbindung gebracht wurde.

 

Seelenverkäufer

Schon Paganini war der „Teufelsgeiger“, und der Bluesmusiker Robert Johnson verkaufte der Legende nach seine Seele dem Teufel, um im Gegenzug exzeptionell Gitarre spielen zu können. Schon lange davor verpasste man allerdings der übermäßigen Quarte, auch bekannt als Tritonus, weil sie drei ganze Tonschritte umfasst, den Spitznamen Teufelsintervall oder auch Teufel in der Musik weg, weil er die stärkste Dissonanz im System der Moll- und Dur-Tonarten darstellt. Der Teufel ist also schon lange Gast in der Musik. Wurde einst der Tritonus allerdings eingesetzt, um Schmerz oder andere negative Dinge auszudrücken, war das Dämonische bei Paganini, Johnson, den Rolling Stones, Black Sabbath und anderen Vertretern immer offensiv und schillernd, klang der Flirt mit Mächten an, die in der jeweiligen Gesellschaft alles andere als wohlgelitten waren. Paganini inszenierte sich mit fahlem Gesicht und schwarzer Kleidung. Wie manche Rockmusiker des 20. Jahrhunderts schlug er Kapital aus den Gerüchten, die um ihn gesponnen wurden und machte ein Vermögen mit seinen Konzerten. Sein Image pflegte er so erfolgreich, dass er über dreißig Jahre lang nicht auf geweihtem Boden beerdigt werden durfte, weil er mit dem Teufel im Bunde gestanden habe. Robert Johnson war seinerseits keineswegs der erste Blues-Künstler, der seine Seele dem Teufel verkauft haben wollte: Schon sein Kollege Tommy Johnson hatte sich mit dieser Geschichte geschmückt, durch einen gemeinsamen Bekannten ging sie auf Robert über, der sie gerne übernahm. Als Gegenstück zum Gospel, der Gott pries, galt der Blues ohnehin nicht nur bei Weißen als Teufelswerk. Er galt in den schwarzen Gemeinden als Musik des Einzelgängers, der sich schon allein dadurch aus der Gemeinde löste.

 

Satans Sympathisanten

Die Rolling Stones sorgten dann in den 1960er Jahren dafür, dass Pop seine Unschuld endgültig verlor: Sie pflegten ein „böses“ Image, spielten schmutzigen Blues mit sexuelen Konnotationen, trugen lange Haare, nahmen Drogen und flirteten mit Beelzebub. „Sympathy For The Devil“ aus dem Album „Beggar’s Banquet“ (1968) wurde einer ihrer größten Hits. Der Text ist eine Auflistung von Gewalttaten, von der Ermordung Christi bis zum Zweiten Weltkrieg und dem Attentat auf John F. Kennedy. Der Legende nach war es dieser Song, der das von den Stones initiierte Open-Air-Festival im kalifornischen Altamont zum Desaster werden ließ. Angeblich spielte die Band gerade „Sympathy For The Devil“, als der Fan Meredith Hunter vor den Augen der Band von den Hell’s Angels totgeprügelt wurde, die für das Konzert als Security engagiert worden waren. Weit wahrscheinlicher spielten die Stones zwar gerade „Under My Thumb“, aber der Song mit dem Teufel war einfach zu attraktiv für die Mythenbildung. Der Karriere der Band schadete das nicht erheblich – wenn überhaupt. Den Stones haftete nun erst recht etwas Gefährliches an, das sie umso mehr zur Projektionsfläche einer Jugend werden ließ, die mit den Werten ihrer Eltern nichts mehr zu tun haben wollte. Eine Band wie Black Sabbath, deren Musik die Blaupause für Heavy Metal bildete, spielte noch unverhohlener mit dem Reich des Bösen. Und im konservativen Bible Belt der Südstaaten der USA brannten ihre Schallplatten auf dem Scheiterhaufen… Aber was wäre ein Rockfan, der sich davon beeindrucken ließe?! Man muss nicht lange suchen, um weitere Beispiele zu finden: Alice Cooper, Kiss, Marilyn Manson – nur einige, die sich mit entsprechenden Anfeindungen konfrontiert sahen und daraus – kalkuliert oder nicht – durchaus auch Profit schlugen.

 

Der negative Opportunismus

Aus dieser rebellischen Haltung, dem Widerspruch zur offiziell propagierten Moral, und der geharnischten Reaktion der Altvorderen speiste sich immer wieder ein signifikanter Teil der Popkultur. Dabei ist nun keinesfalls immer der Kunst immanent, was die Sittenwächter zu den Waffen ruft. Der Anschein der Insubordination genügt – es muss ja was im Busch sein, wenn sich jemand nicht der besten aller möglichen Ordnungen fügt. Dass dieser negative Opportunismus immer wieder Menschen attraktiv erscheint, deren Bedürfnisse ideeller oder materieller Natur in der Gesellschaft vermeintlich oder tatsächlich nicht vorkommen, ist keineswegs zwingend, jedoch sehr verbreitet. In der Regel hat sich diese Opposition mit einem gewissen dann auch Alter erledigt, die Notwendigkeiten zwingen manchen in die „Einsicht“. Allerdings hat es auch immer wieder Fans und Künstler gegeben, die ihren „Way of life“ buchstäblich ums Verrecken nicht aufgeben wollten. Das Buch „Lords Of Chaos“ von Michael Moynihan und Didrik Søderlind erzählt in epischer Breite die Geschichte des Black Metal und verwandter extremer Spielarten des Heavy Metal. Teile dieser Szene radikalisierten ihre Opposition gegen die christliche Mainstream-Kultur soweit, dass sie auch vor Mord und den damit verbundenen Gefängnisstrafen nicht zurückschreckten. Allerdings ist die Musik auch hier nur der Soundtrack zur Ideologie, denn die Vorstellung einer sachlich notwendigen gegenseitigen Bedingung einer spezifischen Musik und bestimmter Gedanken.

Andreas Schnell

Vor zehn Jahren


gab es die letzte Platte von Godspeed You! Black Emperor – bis ungefähr vorgestern. „Yanqui u.x.o.“ gehörte zu den Platten, die ich für den November-Bremer 2002 auswählte.

 

messer chups /black black magic

solnze records /www.tamizdat.com

Ein Petersburger Gitarrist und Programmierer trifft auf eine sowjetische Theremin-Virtuosin, die seit einem frühen Zusammentreffen mit dem Erfinder jenes rätselhaften schwarzen Klangerzeugers vom Theremin nicht mehr wegzubringen ist. Gemeinsam verlegen sie Quentin Tarantinos Neo-Noir in den mafiösen Untergrund St. Peterburgs, wo seit der Konterrevolution die Prohibition ein Ende hat. Auf den Wellen des freien Marktes – auch der: neu und schwarz – surfen zwielichtige Entrepreneurs, im Arm wasserstoffblonde Ladies. Das Licht des finnischen Golfs, klar wie ein Glas Stolichnaya, überzieht die aus Amerika importierten Twanggitarren mit einem neuen, delikaten Licht. Ein schönes Beispiel dafür, wie sich fremdes Kulturgut schöpferisch angeeignet werden kann.

 

godspeed you! black emperor /yanqui u.x.o.

constellation/efa

Sie bekennen sich schuldig, vom Verkauf ihrer Platten in „räuberischen Superstores“ zu profitieren, und fordern uns auf, „Yanqui U.X.O.“ anderswo – beispielsweise bei einem korrekten Mailorder – zu kaufen. Godspeed You! Black Emperor streben danach, sich den Mechanismen des Kapitalismus zu entziehen – um die Widersprüchlichkeit des Vorhabens wissend. Soweit, so sympathisch. Auf der musikalischen Ebene, und die ist schließlich entscheidend, ließe sich derweil einwenden, dass das Godspeed-Konzept – ausgedehnte Instrumentals mit langen Dynamikbögen und dramatischen, aufwändigen Arrangements mit Streichern, Gitarren, Schlagzeug und versprengten Samples, aufgenommen diesmal übrigens von Steve Albini – nur in Nuancen ausbaufähig erscheint. Aktuell wäre das eine sporadische Luftigkeit, Mut zu Lücken in den Kompositionen. So ist „Yanqui U.X.O.“ (natürlich) wieder ein sehr schönes Album geworden – unverkennbar GY!BE, immerhin mit einem Minimum an Weiterentwicklung.

 

jets to brazil /perfecting the loneliness

jade tree /cargo

Mit dem sperrigen Post-Hardcore seiner legendären Band Jawbreaker hat das, was deren Gitarrist, Sänger und Songwriter Blake Schwarzenbach seit drei Alben mit seiner Band Jets To Brazil tut, nicht mehr viel zu tun. Geblieben ist – natürlich – Schwarzenbachs brüchiges Timbre, das nun von aufwändigen Arrangements getragen wird, in denen mittlerweile locker Platz für Klavier, Mellotron und Steelguitar ist. Geblieben ist außerdem, was Schwarzenbachs Songs von Beginn an ausgezeichnet hat: Seine Fähigkeit, im knappen und durchstrukturierten Format eines Rock-Songs wunderschöne Geschichten zu erzählen, denen kaum anzumerken ist, dass sie Liedertexte sind, wenn man sie liest. „It’s beautiful and it’s sad, but it’s all that i have“, singt er irgendwo auf diesem Album. „Perfecting Loneliness“ zeigt ihn klassizistischer denn je. Vielleicht steht er in nicht allzu ferner Zukunft neben Ikonen wie Bob Mould oder Paul Weller: Große Songwriter, deren Status weit über den Untergrund hinausreicht.

 

robotobibok /jogging (vytvŏrnia/antena krzyku umc; http://www.tamizdat.com). Robotobibok aus Polen haben ihre Wurzeln im Jazz der Sechziger – von Acid-Jazz über Hardbop bis zu freieren Spielweisen -, erweitern ihren Sound um handgespielte Breakbeats und setzen mit ihrem Instrumentarium aus Gitarre, Moog-Synthesizer, Saxophon, Percussion und Kontrabass immer wieder zu kollektiven Improvisationen an, in denen sie intensive Momente der Verdichtung erreichen.

 

Vor zehn Jahren


… begegnete ich erstmals dienstlich polnischer Beat-Musik.

taz Bremen 22.10.2002

Familientanz

Die polnische Band Czerwone Gitary rockt seit 37 Jahren und brachte im Schlachthof gereifte Polinnen zum Weinen

Wenig bekannt ist im Westen die Geschichte der Rockmusik in den Ländern des Realsozialismus. Wahrscheinlich ist es Jahrzehnten antikommunistischer Propaganda im Frontstaat BRD geschuldet, dass die meisten das Vorhandensein einer solchen Szene für unmöglich halten. Mittlerweile aber sind die Akten einsehbar. Wir erfahren Überraschendes: Czerwone Gitary („rote Gitarren“) aus Polen spielten zum Beispiel im Laufe ihrer nun schon 37-jährigen Geschichte bereits in den Siebzigern eine Tournee in den USA. Beim alljährlichen Festival in Sopot spielten sie vor 40.000 Zuschauern als Headliner.

Am Sonntag waren sie in Bremen zu Gast. Die große Zeit der Band ist vorbei. 250 überwiegend polnisch-stämmige Gäste bereiteten Czerwone Gitary dennoch einen begeisterten Empfang. Rechtzeitig zum Beginn des Konzerts in der Kesselhalle des Schlachthofs zu sein, war dabei gar nicht so einfach: Auf der Veranstaltungsübersicht im Foyer des Schlachthofs waren die Czerwone Gitary für Samstag, 19. Oktober, 20 Uhr angekündigt. In der Presse stand zwar der richtige Termin, wer aber zum angekündigte Beginn um 20 Uhr eintraf, bekam gerade noch die letzten Takte mit, da das Konzert bereits um 18 Uhr begann. Karten im Vorverkauf gab es im Übrigen lediglich bei einem polnischen Reisebüro zu kaufen.

Dass die meisten Gäste dennoch pünktlich waren, lässt auf einen souveränen Umgang mit dieser Art der organisatorischen Akkuratesse schließen. Ein Relikt konspiratorischer Vergangenheit darf in diesem Zusammenhang übrigens ausgeschlossen werden, waren Czerwone Gitary doch eine der Bands, die von Anfang an mit Segen der Obrigkeit spielten und somit derartiges auch im Realsozialismus nicht nötig hatten.

Es war vielmehr ein Abend für die ganze Familie. Die Musik der roten Gitarren, bei denen immerhin noch drei Mitglieder aus der Urbesetzung mitspielen, schlug nie über die Stränge, war allzeit gediegene Beat-Musik mit Schunkel-Flair, auch wenn einer der Neuzugänge mit seinen langen blondierten Haaren und Tätowierung ab und an auf seinen Verzerrer treten durfte.

Dieser kleine Stilbruch hielt die versammelte polnische Gemeinde nicht davon ab, kräftig in Wallung zu geraten: Ganze Familien tanzten samt Großmutter ausgelassen vor der Bühne und sangen die Texte der alten Hits mit. Das patriotische Sentiment schlug Purzelbäume, als Czerwone Gitary die Schönheit der polnischen Mädchen besangen. Czerwone Gitary waren Polens Antwort auf die Beatles – aber statt kreischender Teenager gab es echte Tränen älterer Damen, die wahrscheinlich einst in Krzysztof, den viel zu früh verstorbenen Sänger der Band, verliebt waren. In diesem Sinne auch für Außenstehende: ein berührender Abend