Vor 15 Jahren


erschien eine Konzertankündigung von mir in der taz bremen. Wobei einiges davon dann doch eher der redaktionellen Bearbeitung geschuldet ist. Interessant: Zwei Schreibungen für Skateboard. Außerdem heißt die eine Vorband – inzwischen eher in gr0ßen Hallen vorzufinden als in kleinen Freizis – natürlich Donots und kommen nicht aus Osnabrück, sondern aus Ibbenbüren. War eben auch nicht alles richtig damals…

 

taz Bremen 8.11.1997

Aktion Bürgerschreck

 Live hard: Dwarves, Donuts und Am I Jesus spielen Unerbittlichkeit im Jugendzentrum Verden

Es lohnt sich, bei der Wochenendplanung ab und zu mal den Blick auf das Bremer Umland zu lenken. Heute beispielsweise geben sich die legendären Dwarves in Verden die Ehre. Von der haben sie vermutlich eine ganze Menge, nehmen wir einmal die alte Gleichung zum Maßstab, nach der, wer viel Feind hat, auch von jener Tugend genug habe.

Die Dwarves aus Amerika haben es sich nicht nur zum Anliegen gemacht, möglichst viele Verfechter politischer Akkuratesse mit ihren geschmackvollen Plattencovers und Songs über Drogen, schnelle Nummern und den ganzen anderen Rock&Roll-Scheiß zu verprellen. Sie verärgerten auch ihre Plattenfirma mit der sorgsam lancierten Falschmeldung vom Tod ihres Gitarristen. Fortan mußten sie ihren radikalisierten Ramones-Punkrock anderswo veröffentlichen. Das erschüttert Typen wie die Dwarves natürlich nicht. Und so werden wir auch heute die Gelegenheit haben, eine nur teilweise bekleidete Band dabei zu beobachten, wie sie in zwanzig Minuten ebensoviele Hymnen verdrischt, mehrere Mikrophone und das Schlagzeug zerstört und nebenbei das Publikum ganz locker in FreundIn und FeindIn spaltet.

Unterstützt werden sie dabei weitaus weniger rüde: Die Donuts aus Osnabrück spielen leider nicht wie Alice Donut, dafür aber Skatepunk. Ein Scateboard benützen sie aber nicht. Und Am I Jesus? Aus dem Süden der Republik haben sie sich auf ebenso modischen wie melodischen Hardcore spezialisiert. Daß sie um einiges zartbesaiteter als die Dwarves sind, dokumentiert ihr Plattentitel ‚Handle Like Eggs‘. Offensichtlich geht bei diesem Konzert um Zwerge, die Eier und Süßigkeiten essen.

Werbung

Vor 15 Jahren


fast jedenfalls, schrieb ich für die taz Bremen über einen durchaus ansprechenden Konzertabend:

Bitte lächeln!

 Totschlag und Kraftmeierei: Entombed, Neurosis und Breach spielten im Schlachthof

Es fing schon reichlich pathetisch an. Breach aus Schweden errichteten mit beachtlicher Lautstärke und beträchtlichem Ernst eine riesige, an sorgsam ausgewählten Stellen durchbrochene Klangwand. In stilistisch nicht gar zu ferner Ferne von Neurosis, wenn auch ohne deren theatralische Eleganz, wälzten sich die von Hardcore wie Metal gleichermaßen infizierten Breitwandakkorde von der Bühne. Leider war es da noch ein wenig früh, so daß nur pünktliche Menschen in den Genuß kamen. Aber schließlich ging es um Neurosis und Entombed, wobei letztere, wahrscheinlich aufgrund höherer Verkaufszahlen, nach Neurosis spielen sollten. Dramaturgisch eine eher zweifelhafte Entscheidung, da Neurosis mit ihrer sorgfältig ausgetüftelten Performance immer etwas Endgültiges zu verströmen pflegen.

So auch diesmal. In ungewohnt kurzer Zeit formulierte die Schicksalsgemeinschaft Neurosis, über lange Jahre gemeinsamen Musizierens und Leidens hinweg zu einer scheinbar monolithischen Einheit verschmolzen, ihre Vision der Apokalypse. Alle Scheußlichkeiten dieser Welt auf Video: Mord und Totschlag, Massengräber und Atombomben – nichts blieb dem Publikum erspart, während sich von der Bühne ein beeindruckender Krach ergoß, langsam, von Passagen bizarrer Schönheit durchwirkt. Dabei blieb das inhaltliche Konzept verschwommen, rührte eher an das metaphorische Herz, als an den ebenso metaphorischen Kopf. Ganz ohne Reflektion konnte, wer wollte, sich dieser „gewalttätigen Meditation“, wie die Band selbst es nennt, ergeben. Die seit ein paar Jahren fast unveränderte Show weist mittlerweile zwar eine beachtliche Perfektion auf, aber auch ein Problem: Der Effekt, der sich noch beim ersten Konsum einstellt, wird später nicht wieder erreicht. Die Apokalypse gibt’s schließlich nur einmal, und was kommt danach?

Am Dienstag waren es Entombed, die auf ihren jüngeren Platten die musikalische Ödnis des Death-Metal verlassen und eine augenzwinkernd prollige Variante von Rockmusik erfunden haben. Auf der Bühne hatte das leider nicht soviel Witz. Da zerfiel die brutal durch ihre Songs marschierende Band in mehrere Teile. Ein berserkender Schlagzeuger, der so etwas wie der Rock-Motor von Entombed sein muß, ein angeheiterter Sänger, der sich als einziger Musiker des Abends auch mal zu einem Lächeln hinreißen ließ, sowie ein paar Erfüllungsgehilfen, die sich mit metallischem Vertrauen in die Richtigkeit ihres Tuns auf ein notengetreues Nachspiel beschränkten, wobei sie offensichtlich die langen Haare vermißten, die früher doch einmal zum guten Ton gehörten. Von der Vergangenheit können sie offensichtlich doch noch nicht ganz lassen.

Das schalkhafte Spiel mit Rocklischees fiel nicht selten der brachialen Gewalt kraftmeierischen Gitarrenhandwerks zum Opfer, und alle paar Meter wurde im Publikum, ungetrübt von jeglicher Ironie, inbrünstig eine Luftgitarre bearbeitet. Die Party nach dem Weltuntergang. Wohl doch eine ernste Sache.

Mal was anderes


Der große alte Mann des ghanaischen Afrobeat und Highlife, Ebo Taylor, kommt mit seiner hervorragenden Begleitband, der Afrobeat Academy, auf Tournee. Das Konzert im Frühjahr in Berlin war grandios. Checkt das mal aus. Termine weiter unten…

31.10. DE Berlin Kater Holzig
01.11. DE Hamburg Mojo Club
02.11. DK København Global
03.11. FI Tampere Jazz Happening
09.11. FR Ivry La Hangar
10.11. FR La Rochelle La Sirene
14.11. NL Utrecht Rasa
15.11. NL Amsterdam North Sea Jazz Club
16.11. NL Rotterdam Bird
17.11. DE Frankfurt (Oder) transVOCALE
22.11. DE München Atomic Cafe
23.11. DE Pfarrkirchen Club Bogaloo
24.11. CH St. Gallen Palace
25.11. CZ Praha Akropolis
26.11. DE Frankfurt am Main Brotfabrik
27.11. DE Desi Nürnberg
29.11. CH Zürich Rote Fabrik
30.11. CH Basel Kaserne
01.12. CH Genève Face H Festival

Vor zehn Jahren


schrieb ich in der taz Bremen( 18.9.2002) über einen sehr interessanten Musiker:

Ein Bremer am Broadway

Der Wahlbremer Willy Schwarz über das Wandeln zwischen den Welten und den Wert eines „Drama Desk Award“

In New York hören und kennen mehr Menschen Willy Schwarz, als in Bremen – der Stadt, in der er lebt. Jeden Abend, acht Mal die Woche strömen Hunderte in das „Circle On The Square“-Theater am Broadway, um „Metamorphoses“ zu sehen. Das Stück ist von Mary Zimmermann, die Musik von Schwarz. Nicht nur, dass er sie geschrieben hat. Er hat sie auch fast allein eingespielt. Bei Willy Schwarz zuhause sieht es dann auch aus, wie in einem Instrumenten-Museum: Akkordeon (sein Hauptinstrument), Vichitra Vina (sein Lieblingsinstrument), Santur, Dramyan, Sarod – über vierzig seltene Instrumente hat er in seinem Musikzimmer, und alle spielt er selbst.

Mit Zimmermann arbeitete er nicht zum ersten Mal zusammen. Für ihr „The Odyssey“ komponierte er mit Michael Bodeen, für „The Baltimore Waltz“ mit Bodeen und Miriam Sturm die Musik. „Metamorphoses“ trug ihm nun den Drama Desk Award für herausragende Musik in einem Theaterstück ein. „Das ist eine große Ehre, und wenn du noch drei Dollar drauflegst, kannst du dir einen Capuccino dafür kaufen“, amüsiert sich Schwarz. Kein Preisgeld also.

Allerdings ist der Award – nach dem Tony – einer der renommiertesten Preise am Broadway. Auch Mary Zimmermann ist des Lobes voll: „Willy Schwarz ist ein außerordentliches Talent. Er weiß so viel mehr über Musik aus allen Teilen der Welt, als jeder andere, den ich kenne, und er ist ein Meister an Instrumenten, von denen die meisten Leute noch nie gehört haben.“

Von Ruhm allein kann allerdings nicht einmal ein Meistermusiker leben. Und auch dass die renommierte New Yorker Knitting Factory soeben eine CD mit der Musik der drei Stücke auf ihrem Label veröffentlicht hat, bedeutet nicht, dass Schwarz sich nunmehr auf seinen Tantiemen ausruhen könnte.

Bremen, wo Schwarz seit knapp drei Jahren lebt, ist keine musikalische Metropole, und das macht es nicht eben einfach für einen Musiker. „Ich bin zufrieden hier. Aber ich fahre zwei- bis dreimal im Jahr in die USA, der Arbeit wegen.“

Unterwegs ist Schwarz immer gewesen: Aufgewachsen in den USA, genauer in Michigan, reiste er mehrmals nach Indien, um klassische indische Musik zu studieren, nach Nepal, nach Afghanistan. Später lebte er als Theaterkomponist in Chicago. Am bekanntesten dürfte er als Musiker bei Tom Waits geworden sein, mit dem er 1987 auf Welttournee ging, während derer der Film „Big Time“ und das gleichnamige Live-Album entstanden. Waits suchte einen Akkordeonisten, fragte einen Bekannten, der einen Bekannten fragte, der wiederum Willy Schwarz kannte. „Zufällig, wie mein ganzes Leben. Ich habe keinen Masterplan“, sagt Schwarz.

Genauso zufällig kam er auch nach Bremen. „Ich bin hierher gezogen wegen der Liebe zu meiner Frau. Es ist komisch. Ich habe erst hier angefangen, Deutsch zu lernen, obwohl meine Eltern immer Deutsch miteinander gesprochen haben.“ Jene flohen 1940 vor den Faschisten nach Amerika, sein Vater ein italienischer Jude, seine Mutter eine deutsche Jüdin.

Und immer hat Schwarz neue Musik in sich aufgesogen und Songs geschrieben, die er auf den Alben „Live For The Moment“ und „Home“ in eine dauerhafte Form brachte. „Die Alben kommen direkt aus dem Herzen, manche der Songs trage ich seit Jahrzehnten mit mir herum – insbesondere die auf ,Home‘.“ Als Schwarz einmal durch Bremer Plattenläden ging, um nach seinen Platten zu suchen, fand er sie (beinahe) nirgends. „Schade“, sagt er, „dass dieses Projekt so wenig Aufmerksamkeit bekommen hat.“

Vielleicht ist er zu sehr Wanderer zwischen den Welten, biographisch wie musikalisch. Weder spielt er „Weltmusik“, noch ist er ein Singer/Songwriter im engeren Sinne. „Theatermusik könnte ich mir gut vorstellen“, sagt Schwarz – und tatsächlich verbinden sich in „Metamorphoses“ die Einflüsse des Musikers so schlackenlos, dass sich akademische Verrenkungen erübrigen. Hier ist der besondere Akzent seiner musikalischen Sprache allgemein verständlich. „Das ist mein Thema, diese ganzen seltenen Instrumente als neue Stimmen einzuführen.“

Das musikalische Thema Schwarz‘ ist natürlich auch ein politisches. Und so überlegt er, den Song-Zyklus „Home“ zu einem Theaterstück über das Thema Exil und Flucht zu verarbeiten. Das dürfte spannend werden. Bis dahin gilt es (nicht nur) für Bremer und Bremerinnen, seine Platten zu entdecken.