Fast 15 Jahre – was wurde aus Bottom 12?


taz Bremen 10.9.1997

Das nächste große Ding?

 Bottom 12 aus L.A. und die Bremer Band Popgun spielten am Montag in der Buchtstraße keinen Ska

Wer gekommen war, weil in den Medien eine Ska-Band namens Bottom 12 angekündigt war, hatte Pech. Ska ist nämlich so ungefähr das einzige, was diese Band nicht in ihren überdrehten Mix einfließen läßt. Aber der Reihe nach.

Vor der vermeintlichen Ska-Band gab es noch die Bremer Popgun zu hören. Deren melodischer Gitarrensound orientiert sich erklärtermaßen an amerikanischen Vorbildern wie All, den Lemonheads und Buffalo Tom. Daß es Popgun gelungen ist, den einen oder anderen Hit zu erdenken, dankte ihnen das Publikum mit freundlichem Applaus.

Gekommen waren die meisten aber, um Bottom 12 aus Los Angeles zu sehen. Und sie sahen sieben Cartoon-Charaktere, geschmückt mit Gasmasken, Cowboy-Hüten und Sonnenbrillen, die sich im Laufe ihres zweistündigen Auftritts in eine schwitzende, infektiös groovende Hardcore-Bigband verwandelten.Nicht nur sehens-, sondern ebenso hörenswert. Bottom 12 eröffneten ihren Set mit Pauken und Trompeten, wobei sich optisch insbesondere die Bläser-Sektion profilierte. Zwei Herren, die aussahen wie Kfz-Mechaniker aus dem tiefsten amerikanischen Süden, bekleidet mit Overalls, die sich über große Bäuche spannten, nach Bedarf auch als Tanzbären einsetzbar, erzeugten mit Trompete und Saxophon feierliche Fanfarenstöße zu schweren Rockakkorden.

Nach diesem Intro breiteten Bottom 12 ihre Version von moderner urbaner Gitarrenmusik aus. Tribalistische Perkussionsexzesse unter Einbeziehung eines Ölfasses trafen sich mit moshenden Gitarrenbrettern, ein funkiger Bass folgte einer herzhaft durchgezogenen Hard-core-Einlage. Manchmal swingte es, und manchmal tat es auch ein bißchen weh, was da reichlich pausenlos von der überfüllten Bühne klang. Bottom 12 ist allerdings nicht daran gelegen, ihr Publikum durch allzu verstiegene Konzepte oder Kompositionen zu verschrecken. Zwar haben sie ihre Ohren offen für alles mögliche, ließen ihre Songs von Alec Empire (Atari Teenage Riot), den Krupps und anderen remixen und sind durchaus willens , überraschende Volten in ihre Stücke einzuflechten.

So ist für Originalität durchaus gesorgt, aber tanzbar ist das Ergebnis trotzdem jederzeit. Ihr Auftritt geriet deshalb zu einer ausgelassenen Party, bei der sich eine, wie die Musik, bunt gemischte ZuhörerInnenschaft tanzend und schweißgetränkt in den Armen lag. Dabei bewegte sich die Band (fast) über die gesamte Spieldauer in erfreulicher Distanz zu Hosenscheißern wie Dog Eat Dog. Da wurde sogar ‚Ace Of Spades‘ von Motörhead rangenommen , wobei es wahrhaftig eine Leistung ist, diese Band zu covern und nicht daran zu scheitern.

Nur bei den Zugaben verliefen sich Bottom 12 in standardisierte Crossover-Untugenden und verloren die Distanz zu abgedroschenen Standards. Genau das allerdings, nebst der erwiesenen Party-Tauglichkeit, könnte aber dafür sorgen, daß diese Band demnächst nicht mehr in Läden wie der Buchtstraße zu sehen sein wird, sondern via Videoclip bald in Richtung Lollapalooza geschickt wird. Dann wird es hundert Leute in dieser Stadt geben, die sagen können, „Ich habe Bottom 12 gesehen, als sie noch ganz klein waren.“Wäre das nicht unheimlich schön?!

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Vor zehn Jahren im INTRO besprochen:


Spaceboy

»Searching the Stone Library for the green Page of Illusion«

(Southern Lord)

Da ist er wieder! Ein Mahlstrom, wie ihn Bl’ast (alte SST-Connection) aus dem Erbe von Black Flag vor einer halben Ewigkeit destillierten. Cliff Dinsmore, einst Sänger jener grandiosen Band, ist zurück – unter anderem mit dem Bassisten der Champs, die kürzlich mit Trans Am zusammen plattenmäßig abgingen. Wo das dritte Bl’ast-Album „Take The Manic Ride“ ansetzte, geht es hier weiter. Viel weiter. Das schwere Schleifen, das nach Neurosis klingt, hatten Bl’ast selbst schon damals kultiviert, die Dumpfheit, die ihr letztes Album versaute, hat sich hier als leichter Nebel über den dopen Riffs gehalten und verhindert gleichzeitig – und zum Glück – die Metallwerdung.

Die einzige Band, die hier für ein „klingt wie“ herhalten könnte, sind Today Is The Day – in etwa zwischen „Willpower“ und „Temple Of The Morning Star“. Das zerrt und brüllt, und in Wirklichkeit ist das, klar doch: Stoner-Rock – im Internet finden sich Listen mit Spaceboy-Songtiteln wie „Planet Of Pot“ (!), „Stoner Fort“ (!!) und „Horses In Great Open Spaces“ (!!!) – wie ihn einst das Mahavishnu Orchestra spielte; soviel zur Einsortierung und nur am Rande. Eine atemberaubende Sorte Rock, die an allen Ecken und Enden ausbricht (was für ein Schlagzeuger!), ab und an ein Slayer-Solo einwirft und in mir den Wunsch keimen lässt, das doch bitte mal auf der Bühne zu sehen, wo es doch mit Bl’ast leider nicht geklappt hat. Tolle Platte auf einem unglaublich uprising Label.

 

Vor fast fünf Jahren


… konferierte ich mit Elliott Sharp anlässlich eines Konzerts mit seiner Band Terraplane in Bremen über den Blues:

taz Nord 20.9.2007
Elliott Sharp’s Terraplane
Blues zur Zeit

taz: Herr Sharp, wie sind Sie zum Blues gekommen? War das schon immer etwas, was Sie gespielt haben, oder kam das erst später in Ihrer Karriere?

Elliott Sharp, Gitarrist und Bandleader von „Terraplane“: Ich hörte Blues zum ersten Mal durch die „Yardbirds“ und die „Rolling Stones“, und ab 1968 grub ich nach ihren Quellen sowohl auf Schallplatten als auch indem ich alles gelesen habe, was mir über die klassischen Blues-Musiker aus Chicago und Texas und die akustischen ländlichen Bluesmusiker, vor allem Robert Johnson, Charley Patton, Skip James, Big Joe Williams und Son House, begegnet ist. Slide-Gitarre zu hören berührte mich tief, und als ich 1968 selbst zu spielen begann – erst akustisch, später elektrisch – begann ich sofort ein Reagenzglas aus meinem Chemiebaukasten zu benutzen, um die Sounds nachzuahmen, die ich gehört hatte. Das war einfacher, als Tonleitern und Akkorde zu lernen, und so konnte ich anfangen, Musik zu machen. Ich begann, die Techniken der Blues- und Rockgitarre zu lernen, während ich zur gleichen Zeit mit Präparationen, erweiterten Techniken und selbstgebauter Elektronik experimentierte – alles Auswüchse meines Interesses für Science Fiction und die Avantgarde. Ein Mitarbeiter der National Science Foundation der Carnegie Mellon Universität gab mir die Gelegenheit, nachts als DJ für die College-Radio-Station zu arbeiten und ich konnte mich durch eine großartige Sammlung von verblüffend verrückter und wundervoller Musik und einer Menge Blues und Free-Jazz, Ornette Coleman und John Coltrane graben.

Auf Ihrem neuen Album „Forgery“ (deutsch: „Fälschung“) gibt es einen „Katrina Blues“, ein Song heißt „War Between The States“, der Albumtitel weist möglicherweise auf die Vorgeschichte des letzten Irakkriegs hin. Meinten Sie, dass ein politisches Album wie dieses eine direktere musikalische Herangehensweise erfordert? Eine, die sich nicht so sehr in formalen Experimenten ergeht?

Alle meine Alben haben einen politischen Inhalt, auch wenn er oft stark verschlüsselt ist. Ich dachte bei dieser Platte in erster Linie an gutes Songwriting. Ich schrieb „Tell Me Why“ in ungefähr fünf Minuten – die Musik und den Text – während ich heimging, nachdem ich in der Zeitung über eine Grausamkeit gelesen hatte, die als wundervoller Erfolg für irgendeinen Konzern dargestellt wurde. „War Between The States“ bezieht sich eher auf die aktuellen tiefen Grenzen zwischen den Bevölkerungsteilen hier in den USA – es wird oft als Links gegen Rechts dargestellt, aber ich sehe es also Oben gegen Unten oder einfach Reich gegen Arm – die Entwicklung eines neuen Feudalismus auf der Welt.

Vor zehn Jahren


… für den BREMER ausgesucht:

phantomsmasher /phantomsmasher

ipecac /efa

Mike Patton, vor einer halben Ewigkeit Sänger bei Faith No More, beweist als Label-Macher ein sicheres Händchen für Formationen, die der Rockmusik neue Perspektiven geben. Phantomsmasher – vormals Atomsmasher – sind die furiose neue Band von James Plotkin, der in den letzten 15 Jahren mit OLD, Scorn, Khanate und anderen seine abenteuerlichen Visionen umsetzte. Vor allem Schlagzeuger David Witte (Tourdrummer bei Melt Banana und Akteur bei Human Remains und Burnt By The Sun) erweist sich als Joker. So brachial wie fein ziseliert, so lässig wie mathematisch präzise herrscht er dem Material seinen Sound auf. Das Trio spielt mit Urgewalt machtvolle Musik in den Grenzbezirken von Industrial, Metal, Hardcore und Noise-Kunst. Manche Passagen lassen an das monumentale „Wrede“-Album von Gore denken, anderes setzt radikal fort, was Don Caballero zuletzt spielten oder führt Grindcore mit fiesen Sample-Schlieren zusammen. Plotkin hat hier ganze Arbeit geleistet. Und sich gleichzeitig Türen geöffnet, die Appetit auf weiteres machen.

tarwater /dwellers on the threshold

kitty-yo/efa

Fein gewebte Stücke zwischen Gitarre und Elektronik, zwischen Track und Song. Ronald Lippok und Bernd Jestram, die einst u.a. mit „Ornament und Verbrechen“ im Punk-Underground der DDR von sich reden machten, haben sich als Tarwater mittlerweile zu einem international renommierten Act gemausert. Auf „Dwellers On The Threshold“ eher zu knapperen Formen neigend, bleibt Tarwater nichtsdestotrotz ein eigenständiger Entwurf im beschriebenen Koordinatensystem. Die Gelassenheit, mit der Lippok und Jestram an ihrer Musik basteln, wirkt nicht zuletzt im Kitty-Yo-Programm zwischen Maximilian Hecker, Gonzalez und Taylor Savvy wohltuend unprätentiös. Die große Geste, die bei den Genannten bisweilen zu nerven vermag, wenn das musikalische Material der Himmel stürmenden Attitüde nicht gerecht wird, diese große Geste fehlt hier. Dafür regieren samten changierende Stimmungen, die instrumental nicht selten an Momente von Tortoise erinnern.