Vor zehn Jahren


lernte ichToychestra kennen – der Beginn einer langen, wundervollen Freundschaft. Leider scheinen sie seit ein paar Jahren nicht mehr aktiv zu sein. So kündigte ich das Konzert in Bremen an:

taz Bremen 3.5.2002

Bügelbrett-Songs aus der neuen Welt

 Das Toychestra mit La Fraction spielt am Sonntagabend im Schlachthof

Zwischen dem äußersten Westen der USA und dem Osten Europas gibt es seit Jahren ergiebige musikalische Bande. Die Band Sabot siedelte einst von San Francisco nach Tabor über, stellte dort das Kulturzentrum C.E.S.T.A. auf die Beine und sorgte für einen regen Austausch von Musikern zwischen Hüben und Drüben. Eine aus dieser Schar ist Lexa Walsh, die am Sonntag mit dem Toychestra im Schlachhof spielt.

Als Bookerin war Walsh vor zehn Jahren in der „Afterworld Lounge“ in Oakland (gleich bei San Francisco ums Eck) für den experimentellen Untergrund der Westküste von entscheidender Bedeutung. Walsh lebt eine Hälfte des Jahres in Tschechien, die andere in Oakland, dann nämlich, wenn es in Tschechien Winter wird. Beneidenswert, nicht wahr?!

Ein Resultat dieser interkontinentalen Kunstachse ist das „All Girl Orchestra“ namens Toychestra. In wechselnder Besetzung aus tschechischen und kalifornischen Teilnehmerinnen macht sich dieses Orchester, das seinen konzeptionellen Grundgedanken im Namen offen vor sich her trägt, an Gerätschaften zu schaffen, die für gewöhnlich nicht unbedingt als Werkzeuge zur Herstellung von Musik Verwendung finden.

Was da auf der Bühne passiert, muss man einmal gesehen haben. Ein Augenzeugenbericht spricht von „drei Bügelbrettern, sechs Frauen und mehreren Hundert Plastikspielzeugen, betrieben mit der Energie einer Wagenladung Batterien.“ Unter die Spielzeugräder kommt klassische Tonkunst – zum Beispiel das berühmte Largo aus Dvoraks Neunter – ebenso wie eigene Ausführungen zu Themen wie Masturbation, Biergärten, Krankenschwestern und ähnlichem.

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Bald in Deutschland auf Tour – Cursive


und wieder ein alter Text – die Ankündigung vom Konzert vor fünf Jahren in Bremen:

Perlen aus der Einöde

Cursive

Omaha, Nebraska ist eigentlich für wenig bekannt. Seit einigen Jahren ist das Städtchen im berüchtigten mittleren Westen der USA, wo es außer endlosen Feldern vor allem viel Einöde gibt, allerdings ein wichtiges Zentrum des Indie-Gedankens. Hier nahm Connor Oberst mit „Bright Eyes“ seine ersten Platten auf, bevor er nach New York zog, der Szene immer noch eng verbunden. „The Faint“, Maria Taylor (…), „Criteria“, „Broken Spindles“, „Azure Ray“ und viele andere haben hier ihre Heimat: Saddle Creek, das Label, das nach wie vor auch Obersts Platten veröffentlicht, bringt mit schöner Regelmäßigkeit Bands und Musiker heraus, die weniger stilistisch eng beisammen sind als vielmehr in einer Vielzahl von Bands ein weites Feld zwischen Wave und Singer-Songwriter-Stoff spielen und sich nicht selten in verschiedenen Bands wiedertreffen. Tim Kasher zum Beispiel spielt nicht nur in „The Good Life“, sondern auch bei „Cursive“ (…) Sie spielen eine Musik, die sich grob unter das unsägliche Label Emo-Core verklappen ließe, sind aber so gar nicht in einen Sack mit den einschlägigen Heulbojen zu stecken. Weit rauer, deswegen auch eigentlich weit emotionaler klingen ihre Songs, die vor Energie bisweilen zu bersten scheinen, aber auch vor sporadischen Cello-Einsätzen nicht zurückschrecken.

PS: Unbedingt mal Kashers Solo-Album anchecken!

Tour Dates:

http://www.cursivearmy.com/tour/

Zwei Texte aus der taz zu einem Thema


vom (wie passend) 20.4.2002:

Über die gothic untote Lust am Morbiden

 Geistertänze: Die „Bremer Grufties gegen Rechts“

Vor rund fünf Jahren rauschte es im Blätterwald. Magazine wie Spex und Konkret hatten in Erfahrung gebracht, dass es in der bis dahin politisch unauffälligen, gewohnheitsmäßig eher der diffusen („Pop“-)Linken zugerechneten Gothic-Szene eigenartiges Gedankengut gab.

Im Gruftie-Zentralorgan „Zillo“ fand sich eine Anzeige der „Jungen Freiheit“, des Sprachrohrs der „Neuen Rechten“. Nach und nach wurde klar, dass das kein Zufall war, sondern zum einen seitens der Neuen Rechten Interesse bestand, in der Gothic-Szene zu agitieren, zum anderen – seinerseits Voraussetzung für Ersteres -, dass sich dort ohnehin mit rechtem Gedankengut Kompatibles finden ließ: zivilisationsmüde Sinnsuche, der Rückgriff auf bessere Zeiten einer noch nicht amerikanisierten Kultur, Ursprünglichkeit.

Damit mochten andere Grufties nichts zu tun haben, die sich im Mai 1988 in Bremen zusammentaten, ein Signal zu setzen. In einem Aufruf forderten die „Grufties gegen Rechts“, wie sich der Freundeskreis nannte, den Boykott rechtslas tiger Zeitschriften, Bands und Verlage. Im Laufe der Jahre entstanden drei Broschüren: „Die Geister, die ich rief…“, „Die Katastrophe der Phrasen“ und „Die Geister, die ich rief… II“. Außerdem veranstaltet die Gruppe regelmäßig ihren „Geistertanz“ und hin und wieder Konzerte, wie das der „Untoten“ am Donnerstag (siehe nebenstehenden Bericht).

Kersten von den Grufties gegen Rechts erzählt: „Es hat in Bremen angefangen. Inzwischen gibt es aber auch in Rostock und anderen Städten befreundete Gruppen, die teils unter dem gleichen Namen arbeiten, die wir kennen, mit denen wir kooperieren, aber auch Einzelpersonen, die uns Informationen zukommen lassen.“ Mit ihren Broschüren haben die Grufties einiges Aufsehen erregt, und wer etwas über Querverbindungen von Go-thic-Musikern zu neurechten Organisationen wissen will, wendet sich an die Bremer Gruppe, die mittlerweile über ein umfangreiches Archiv verfügt.

Auch der Gegner nimmt sie ernst: Zwei Verfahren gab es bereits, in denen erfolglos Schadensersatz wegen Rufschädigung und Verleumdung eingeklagt werden sollte. Kersten berichtet: „Das letzte kam von einem Vertrieb, der uns im Namen dreier Musikprojekte, die wir kritisiert hatten, verklagen wollte. Das Verfahren ist von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden – formal, weil die Sache verjährt war. Abgesehen davon gab uns das Gericht Recht: Wir hätten nicht behauptet, diese Musiker seien Faschisten, nur, dass sie sich im Fahrwasser des rechten Kulturkampfes befänden und sich davon nicht ausreichend abgrenzten. Das sei durch unsere Broschüre abgedeckt, weshalb es keine Grundlage für eine Klage gebe.“

Über Perspektiven befragt, meint Kersten: „Wir können nur Aufklärung betreiben, versuchen, dass die Leute das Interesse an solchen Bands verlieren, nicht mehr deren Platten kaufen, ihre Konzerte nicht mehr besuchen.“ Wer helfen möchte, kann sich auf der Homepage der Grufties informieren, hier findet sich auch die Kontonummer für allzeit willkommene Spenden, mit denen die Grufties auch die erweiterte Neuauflage der „Geister, die ich rief… II“ finanzieren wollen, die für den Sommer geplant ist.

Die Grufties gegen Rechts veranstalten an jedem ersten Samstagim Monat den „Geistertanz“ im Magazinkeller, Schlachthof. Nähere Informationen auf der Internetseite www.geister-bremen.de

 Blasphemische Bonvivanterie: „Untote“ im Schlachthof

Die Lust am Morbiden kann offenbar sehr lebensfroh sein, vergleicht man allein das Getränkeangebot bei den „Grufties gegen Rechts“ mit herkömmlichen Punkrock-Kellerkonzerten. Im Magazinkeller des Schlachthofs gibt es nie anderes als Bier und eine Hand voll Limonaden. Am Donnerstagabend, als die Berliner „Untoten“ aufspielten, gab es sogar einen ganz trinkbaren Rotwein zu kaufen, auch wenn im Trockeneis-Nebel nicht ausmachen ließ, von welcher Sorte der Tropfen war.

Nach der Vorband Kontrast, die Electronic Body Music (EBM) neuerer Machart vortrug, präsentierten die Untoten ihren Mix aus elektronischen Beats, hintergründigem Metal und und einigen fake-barocken Versatzstücken. David A. Line und Greta Csatlos aus Berlin haben ihre Wurzeln in der Wave-Szene der Achtziger, pflegen punkigen Appeal, auch wenn dieser Einfluss mittlerweile zugunsten des Pop-Anteils zurückgenommen wurde. Ging es vor fünf Jahren noch um die Minimalforderung „Berlin bleibt Schmierstadt“ und urbane Dekadenz, legt die Band den Fokus nun auf SM-Ästhetik.

Dabei ist es durchaus eine Stärke, dass sowohl in Sound als auch Performance eher angedeutet als durchgezogen wird. Csatlos spielt mit ihrer lyrisch durchaus expliziten Sexualität auf der Bühne, wie Line mit Metalriffs, die nur verhalten ertönen, weil die Gitarre durch einen Bassverstärker entsprechend verschwommen klingt. Der Verzicht auf hochgetunte Tontechnik, mit der Musikanten aller Couleur sich oft schmücken, um ihr Werk „fett“ klingen zu lassen, ist – selbst wenn er nicht beabsichtigt sein sollte – positiv zu notieren und der Grund für den starken Hauch der achtziger Jahre, der durch Musik und Szenerie weht: der Keller, die untergründige Gemütlichkeit, nicht zuletzt auch die Musik, in der zwischen EBM, Metal und Wave-Rock einiges geht. Mal erinnert es gar an die Eurhythmics oder Anne Clark.

„Mit Ansagen hab ich es nicht so“, gesteht Greta und bringt damit auf den Punkt, was ihren Auftritt gegenüber gleichfalls SM-affinen Hochpathetikern wie Die Form so charmant erscheinen lässt: die Unvollkommenheit, die trotz aufwändigen Kompositionen und Video-Show der Veranstaltung das dröhnende Pathos anderer Gothic-Bands nimmt.

Ganz hübsch eigentlich, was ich vor zehn Jahren mal so als Kolumne fürs TRUST aufschrieb


Die Sache mit David Copperfield

 

Vor einer Weile deutete ich einmal an, es gebe da eine Geschichte, in der eine Frau in einen Imbiss kommt und fragt, ob David Copperfield hier schon einmal gegessen habe. Ich weiß nicht mehr, ob ich sie noch zusammenkriege, aber es war in ungefähr so:

Mittwochabend, kurz vor elf. Die verblichene Hauptstraße des Quartiers, auf der ich auf der Suche gewesen nach Mauerstücke, an denen ich ein paar Flugzettel anschlagen konnte, lag nun leer und wartete auf den Regen. Nur ein einsamer ehemaliger Funktionär der österreichischen KP, der über der Aussichtslosigkeit seiner Funktion verzweifelt war, sammelte Zigarettenstumpen und stapelte sie zu kleinen Häufchen auf. Mit meiner Kameradin, ich werde sie der Einfachheit halber G. nennen, war ich nach getaner Arbeit in eine Wirtschaft gegangen, benannt nach einem orientalischen Märchenhelden, um uns zu verschnaufen. Wir hatten unseren Auftrag erfüllt und guter Dinge. Wir warteten noch auf unser Essen warteten, da betrat eine Frau den Imbiss, ungefähr dreißig Jahre alt, mit langen blonden Haaren. Sie sah weder in die eine noch die andere Richtung auffällig aus, nur ihr Blick fiel mir auf, ohne dass ich hätte sagen können warum. Ein paar Minuten steht sie einfach nur in der Gegend herum, blickt nach draußen, lässt ihren Blick über die bunten Bilder von irgendeiner Heimat an den Wänden streichen, über die Auslagen, um schließlich auf dem unverdrossenen Mann hinter dem Tresen zu verweilen.

Sie scheint sich ein Herz nehmen zu müssen, denn es ist eine kleine Pause, bevor sie fragt:

„Hat David Copperfield hier schonmal gegessen?“

Einfach so.

Der Mann weiß nicht recht, was sagen, und so versuche ich mein Glück.

„Nicht, dass ich wüsste, aber sie werden es nicht glauben, ich kehrte einst mit Claudia Schiffer hier ein.“

Weil G. mir droht, den Spaß zu verderben, knuffe ich sie derb in die Seite. Die Unbekannte stört sich allerdings nicht im mindesten an G.s Unhöflichkeit, schaut mich nur verwundert an.

„Aber die sind doch verlobt…“

Dies als Einwand gelten zu lassen, sehe ich nicht ein.

„Er durfte natürlich nichts davon wissen“, sage ich in geduldigem Ton.

Sie wird dennoch skeptisch, runzelt die Stirn, fragt nach etwa zweieinhalb Sekunden:

„Du spinnst ja, – oder stimmt das?“

Ich scheine vertrauenswürdig, zumindest ein wenig. G. wendet sich einer Lektüre zu, die sie aus dem Ständer an der Wand genommen hat, irgendeine Zeitschrift über Frisuren. An dem leisen Zucken ihrer Hände kann ich erkennen, dass ihre Aufmerksamkeit dennoch der Unterhaltung gilt, die sich alsbald weiter entspinnt.

„Wie heißt du eigentlich?“, fragt die Blonde, die sich eine Zigarette angezündet hat und mittlerweile geneigt scheint, mich nicht in Bausch und Bogen zu verdammen.

„Horst.“

„Mein Vater heißt auch Horst“, entgegnet sie, und ich habe kurz die Befürchtung, dass sie nun das Spiel nach ihren Regeln spielen möchte. Woher soll ich wissen, ob ihr Vater wirklich Horst heißt?

„Mein Vater wohnt über mir“, fährt sie fort, „weil meine Wohnung verstrahlt ist.“

„Ärgerlich“, vermute ich.

Sie will gerade etwas sagen, da fährt draußen eine Trambahn vorbei und ihre Worte gehen im Getöse unter. Von ihrem Satz bleiben nur die Worte Büchergestell und verheiratet heil, wobei selbst das nicht als gesichert gelten darf. Ich weiß nicht, was sie mir sagen will, ich weiß nicht einmal, ob sie überhaupt mir etwas sagen will. Sie schaut mich aus Augen mit einem Blick an, der von ganz weit fort durch einen Nebel zu mir kommt und behauptet:

„Du tickst wohl nicht mehr ganz richtig.“

Spricht es und geht aus der Tür durch die nächste in die Bar nebenan, wo sie vielleicht dasselbe wissen will, ob nämlich vielleicht David Copperfield dortselbst schon einmal gewesen sei.

Ich lasse mir einen Mokka geben und denke an Claudia und den Abend mit ihr. Wie sie die ganze Zeit jammerte.

„Wenn uns mein Verlobter sieht… Er wird mich windelweich prügeln… Oh,. es geht nicht, dass wir hier so beisammen sitzen… Jeden Moment könnte er durch die Wand kommen… Lass uns lieber gehen…“, in einer Tour. Es war ganz furchtbar, wie ihr euch vorstellen könnt. Ich versuchte, sie zu beruhigen, ob sich nicht übertreibe, ob sie wirklich meine, er könne durch die Wand gehen, Geschwindigkeit sei schließlich keine Hexerei – obwohl ich nur zu gut wusste, wozu dieser eifersüchtige Schnösel in der Lage war. Windelweich prügeln, das konnte schon sein. Sie jedenfalls beharrte auf ihrer Sicht der Dinge, auch wenn sie die Lage offenbar so prickelnd fand, dass sie sich nicht vom Fleck rührte.

Als eine Stimme polterte: „Du Schlampe“, versteckte sie sich unter dem Tisch. Allerdings war es nur Lagerfeld, der sich hier einen seiner derberen Späße erlaubte. Er nickte einigen Gästen grüßend zu, mir jedoch nicht, weil er aus purer Eitelkeit, wie ich annahm, seine Brille nicht trug.

„Gehen wir noch auf einen Drink zu dir?“, fragte ich Claudia, weil mir die Sache auf die Nerven ging, aber sie schüttelte entschlossen den Kopf.

„Das geht auf keinen Fall, mein Vater wohnt über mir, er könnte uns hören.“

„Ich vermute, dass seine Wohnung verstrahlt ist“, sagte ich gelangweilt, worauf sich Verblüffung in ihrem Gesicht breitmachte, wie Olivenöl in einer Pfanne über dem Feuer.

„Aber… woher… das kann doch gar nicht… niemand weiß…“

In diesem Moment kommt G. durch die Tür und fragt, ob wir langsam weiterziehen wollten.

„Klar“, sage ich, stehe auf und lege mich lang hin, über einen Tisch, auf dem gerade ein Betrunkener die Schlacht von Verdun auf einer Papierserviette schematisch darzustellen versucht, was ihm sehr zu seinem Unmut nun misslingt, weil Claudia, als sie sich unter dem Tisch versteckt hat, ohne mein Wissen die Schnürbänder meiner Turnschuhe an ein Tischbein geknotet hat. Claudia biegt sich vor Lachen, bis sie eine gelangt kriegt.

„Hallo David!“, begrüße ich den eifersüchtigen Schnösel trotz meiner unglücklichen Lage mit der sich in dieser Situation geziemenden Höflichkeit. „Was machst du denn hier?“

„Hallo Horst“, begrüßt mich der eifersüchtige Schnösel ebenfalls höflich – immerhin, Manieren hat er, auch wenn ein höhnischer Zug um seine Lippen zu spielen scheint, aber das kann auch daran liegen, dass ich immer noch auf dem Schlachtfeld von Verdun liege. „Ich schaue ein wenig nach dem Rechten. Weißt du, Claudia ist manchmal ein bisschen…“, und zieht die Schultern hoch und macht einen Gesichtsausdruck, als sei ihm schon wieder der Trick mit der Praktikantin und einer Zigarre danebengegangen, der, wo er sich danach wieder eine neue suchen muss, weil die alte den Trick nicht verstanden hat.

„Verstehe, verstehe. Aber sag mal, bevor du gehst, könntest du…“ – ich zeige erklärend auf meine Schnürbänder.

Zu spät indes, er ist schon wieder fort. Durch die Wand – der alte Teufelskerl -, wobei sich Claudia, unsanft am Handgelenk hinter dem Meister her gezogen, noch die Nase lädiert, weil sie den Trick nicht verstanden hat. Ich löste meine Schnürbänder und ging zurück auf die Straße, wo gerade ein Minister mit dem Fahrrad Pirouetten auf dem Hinterrad vollführt, während sich die aufgehende Sonne im Dekolleté einer Diva verhedderte, aber das glaubt mir ohnehin wieder niemand, und außerdem ist es eine ganz andere Geschichte.

 

Vor zehn Jahren im BREMER besprochen


wilco /yankee hotel foxtrot

nonesuch /wea

Weil seine Plattenfirma in den USA nach „Summerteeth“ ein Hyper-Pop-Album erwartete, überwarf sich Wilco-Mainman Jeff Tweedy mit der Company und suchte sich eine andere. „Summerteeth Vol.2“ wollte er nicht machen. So verzögerte sich das Erscheinen der neuen Wilco beträchtlich. Das Warten hat sich indes gelohnt. Eine Platte, die sich spröde gibt, jedoch bald ihre schillernde Schönheit offenbart. Große Songs schreibt Tweedy nach wie vor. Allerdings erlaubt er sich (und Jim O’Rourke, der dieses Album gemischt hat) einen freieren Umgang mit Klang und Form. Noise-Partikel irritieren an den Rändern und in den Ritzen der Songs, Beats von echtem Schlagzeug werden wie Loops eingesetzt, und das Drei-Minuten-Format wird dezent aufgelöst. Neu ist außerdem ein trockener Humor, der sich in schalkhaften Bläsersätzen und Songs über Schlagzeuger in Heavy-Metal-Bands niederschlägt. Höchst elegant haben Wilco damit neue Wege betreten, die in ihrem bisherigen Schaffen zwar angelegt waren, aber eher unter der Oberfläche schlummerten. Eine wunderschöne Blüte Wilco’scher Liedkunst.

 

neil young /are you passionate?

reprise /wea

Zwei Jahre nach seinem letzten Studio-Album „Silver & Gold“ hat sich Neil Young mit Booker T. und seinen MGs zusammengetan, die er sich in der Vergangenheit bereits als Backingband engagierte, wenn nicht mit Crazy Horse unterwegs war. Nach dem eher resignativen „Silver & Gold“ klingt Young 2002 ungewohnt leicht, nicht selten gar beschwingt, aber auch eigentümlich unspektakulär. Kein großer Wurf, eher ein Album voller hübscher Songs. Auch wenn das seltsam klingt: Der 11. September hat Spuren hinterlassen. In dem Song „Let’s Roll“ nimmt er Bezug auf die Ereignisse: „No one has the answer / But one thing is true / You got to turn on evil / When it’s coming after you“, heißt es da unter anderem. Young, nicht erst einmal aufgefallen durch reaktionäre Statements, erweist sich auch hier als Patriot. Im Grunde ist seine Botschaft jedoch die gleiche wie immer, verpackt in schlichte, aber vieldeutige Verse: Die Liebe (ganz abstrakt genommen) soll es richten, damit unsere Kinder nicht voller Furcht aufwachsen.

songs: ohia /didn’t it rain

secretly canadian /cargo

Nach einer Live-Platte kommt Jeff Molina nun mit einem Werk ums Eck, dass keine Fragen offen lässt, weshalb schon der Titel eine rhetorische ist. Beinahe nackt die Performance, Molina und seine Mitmusiker um ein Mikrophon geschart, die sparsam eingesetzten Instrumente unverstärkt. Ungeschönt die Stimmen, wie auf alten Bluegrass-Platten, übrigens in Harmoniegesängen und Instrumentierung (Mandoline) auch stilistisch an jene alte Musik erinnernd.

Das hier und heute ist dennoch da. Molina singt den „Steve Albini’s Blues“, der mit dieser Platte eigentlich nichts zu tun hat, außer vielleicht, dass eine Sound-Ästhetik, wie Albini sie zum Beispiel mit Low verwirklicht hat, hier ihre Entsprechung findet. Pure Melancholie, eine wunderschöne, beinahe produktionslose Produktion, wenn das denn ginge.