Aus dem Archiv: Im TRUST vor zehn Jahren besprochen


COPYRIGHT – ‚The Hidden World‘

Ich habe The Cult zu verschiedenen Zeitpunkten ihrer Karriere für eine große Band gehalten und tue das heute noch. Was an Copyright besticht, ist im Grunde das, was auch The Cult für mich ausgemacht hat. Ian Astburys himmelstürmendes Pathos, immer zu dick aufgetragen, ihm darob böse sein zu können, die radikale Verdichtung von Platitüden und Klischees als Kontrapunkt zu Billy Duffys bodenständig rockender Gitarre. Copyright verfügen nicht nur über einen Sänger, der Astbury stimmlich bisweilen sehr nahe kommt, sie haben auch den metaphysischen Impetus geläuterter Drogen-User, der ihnen immer wieder euphorische Momente entlockt. Ein Song über „Mother Nature“, einen namens „Into The Light“, eine ergreifende Schmonzette mit dem Titel „Make Up Your Mind“… So schön kann Rockmusik sein, die in keiner Sekunde etwas anderes als Mainstream ist. Der modernistische „Industrial“-Einschlag der Single „Rock Machine“ hätte da gar nicht Not getan.

ViK.Recordings/BMG

 

V.A. – ‚Unattainable Text, A Precis‘

Ein Experiment: Was passiert mit einer Platte, die keinerlei Angaben zu den Ausführenden enthält? Teil eines Konzeptes, das sich recht konsequent den gängigen Marketingtechniken (X spielte schon mit Y, brachte Scheibe Z auf dem Label A heraus, während das Cover von B ist) verweigert, und wohl wäre es ein Leichtes, den Verantwortlichen nachzuweisen, dass auch dieses Konzept als Marketingkonzept taugt, weil es ein Interesse weckt, was doch für gewöhnlich der Sinn von Marketingkonzepten ist.

Immerhin allerdings kommt unsereins damit in die Verlegenheit resp. den Genuss, die Musik ohne Vorurteil in Ohrenschein zu nehmen. Die Single zwar widersetzte sich dem Versuch, von mir gehört zu werden, weil sie entweder aufgrund ihrer Unebenheit scheußliche Geräusche produzierte, oder eben so klingen sollte, als wäre das der Fall, was mich solchenfalls allerdings auch nicht weiter gereizt hätte. Die LP läuft soweit glatt, danke, und auch auf ihr finden sich Geräusche, die meine Mutter wohl einen Mechaniker rufen ließen, weil sie ohne Zweifel davon ausginge, dass ihre Stereo-Anlage nun endgültig von hinnen gegangen sei. Allerdings eröffnet die andere Seite recht kommod mit einem spooky Klavierstück, beinahe schon in der Manier sogenannter moderner Klassik, wieder gefolgt von einem Stück, in dem ein Rasierer anscheinend unbotmäßige Annäherungen an einen Tonabnehmer macht, manches spielt mit gefundenen Geräuschen, anderes ist dann wieder extrem minimalistisch. Alles also eher aus der Geräuschkunst-Ecke als sonstwo her. Für mich alten Rocker ist das allerdings leider nicht so wahnsinnig interessant.

Nachsatz: Müsste nicht auf die Verwendung von Rezensionsexemplaren auch verzichtet werden, wollte man denn wirklich auf die Mechanismen des Marketing verzichten? Ja, müsste man dann nicht sowieso auf den Verkauf verzichten? Denkt mal drüber nach, wo immer ihr seid.

Diskono; Lowlands

 

BULBUL – ‚Velo‘ 3″ CD

Allein die Verpackung ist zauberhaft: Als wär’s eine Dose für Flickzeug, die dann den drei Zoll messenden Tonträger verbirgt, der seinerseits jenen sternförmigen schwarzen Flatsch mit rotem Rand darstellt, der im Flickzeug auf den Flicken zu sehen ist. Die Musik auf der CD ist ausschließlich aus Geräuschen komponiert, die am Fahrrad entstanden: Wir hören eine Luftpumpe, das knirschende Gleiten der Kette über die Ritzel, wenn man einen Gang wechselt, das Geklonker, wenn man an die Speichen einen metallenen Gegenstand hält. Fünf Miniaturen, die die Aneignung der Technik in einer Art positiv-gewendetem Industrial-Ansatz vollziehen.

Der dritte Teil einer Reihe von 26 unter dem Titel „Umweltgeräuscheplatten A-Z“. Demnächst in dieser Reihe: Spielautomaten.

Trost/Cargo/Hausmusik

 

 

ULTRA-RED – ‚La Economía Nueva (Operation Gatekeeper)‘ 3″ CD

Auch dieses Werk ist aus vorgefundenem Material komponiert, das hier allerdings einem weniger spielerischen Zusammenhang entstammt. Die „Operation Gatekeeper“ bezeichnet offenbar die Aufrüstung der Grenze zwischen USA und Mexiko, mit dem sich erstere eine verstärkte Kontrolle über die Souveränität darüber erhoffen, wer sich in ihrem gelobten Land aufhält. Bekanntlich zieht es einen Haufen Menschen aus ökonomischen Gründen aus Mexiko in die Vereinigten Staaten, die sich dort – ihren Leidensgenossen anderswo gleich – ein Einkommen erhoffen, dass wenigstens die gröbste Armut lindert. Der Widerstand gegen die Abgrenzung der „Festung Europa“ von den Armenhäusern der Welt findet sein Pendant in den Amerikas. Von den Demonstrationen am San Ysidro Point Of Entry am 10. Dezember 2000, dem Menschenrechtstag der Vereinten Nationen, stammen die Stimmen, die hier in vier Stücken, zwei als Movimiento (also: Movements oder Bewegungen) betitelt, verwendet wurden.

Ultra-Red engagieren sich ganz pragmatisch, organisieren eingewanderte Arbeiter und betätigen sich in Antiglobalisierungs-Zusammenhängen, die mit Vorliebe die Gebräuche der bösen Corporations anprangern (Welcher Art dieser „Antikapitalismus“ ist, habe ich in der letzten Ausgabe angedeutet). Ihre Kunst stellen Ultra-Red jedenfalls ganz ausdrücklich in den Zusammenhang ihrer politischen Arbeit. Dass dabei die Ergänzung durch visuelle Elemente, mindestens aber Kenntnisse des Spanischen förderlich sein könnten, würde ich nach Konsum von „La Economía Nueva“ vermuten. Die beklemmende Musik transportiert sonst lediglich eine relativ beliebig füllbare Sorte paranoiden Unbehagens.

FatCat/Hausmusik

SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM – ‚Grand Opening And Closing‘

In San Francisco und seinen anliegenden Gemeinden haben sich vier Musiker und eine Musikerin, allesamt zuvor und zugleich in verschiedenen Avant-Rock-Bands wie Idiot Flesh, Tin Hat Trio und Charming Hostess aktiv, zusammengetan, um mit Sleepytime Gorilla Museum (SGM) die verschiedenen Linien progressiver Rockmusik von Beefheart über Art Bears und die Einstürzenden Neubauten bis hin zu neueren Artrock-Versionen, wie sie Mr. Bungle spielen, zusammenzuführen. SGM graben tief in der Geschichte des Rock. Ihre Musik ist dabei von bisweilen beängstigender Perfektion, zuweilen gnadenlos überrissen, manchmal aber auch von schlichter Schönheit. Wie schon bei Idiot Flesh gibt es ein obskures Konzept, die schwarze Mathematik John Kanes spielt auch hier wieder eine Rolle. Die Affinität zur Theatralik, zu Verkleidungen und donnerndem Pathos – SGM ist im Grunde eine Fortsetzung des alten Konzepts. Daran aufregend ist die enorme Spannung in der Musik, die aus dem scheinbar kühlen Umgang mit der hochkomplexen Musik resultiert.

(…)

Seeland/Chaosophy/Flight13

 

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