Tobias Kratzer entdeckt den Aufständischen Wagner
„Tannhäuser“ – das fängt in Bremen ganz unwagnerisch an. In einer Bankfiliale um die Ecke, bevor sich die Türen für das Publikum öffnen, ist eine Reinemachefrau dabei, alles für den Arbeitstag herzurichten. Zu den Klängen der Ouvertüre, deren beschwingtere Teile die Dame zu einem kleinen Tänzchen mit dem Mop animieren. Damit ist aber Schluss, als der Chef kommt, mit strenger Miene zurecht rückt, was sie im Übermut übersah. Die Angestellten kommen, die Kunden – ein hübsches Panorama des Alltags, mit Witz angerichtet. Dann passiert es: Ein Banküberfall. Drei ulkig verkleidete Terroristen hängen ein Transparent auf: „Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen! R.W.“ Wagner also. Und bevor man auf eine Spaßguerilla schließen könnte, nehmen sie die Bank aus, ein Sondereinsatzkommando stürmt die Bank, der, der sich später als Tannhäuser entpuppt, erschießt im Tumult unsere freundliche Reinemachefrau – ab.
Im ersten Akt klärt sich manches auf: Wer Tannhäuser ist, wer die anderen Clowns sind, einer dazuerfunden, damit eine Terrorzelle draus wird, und Venus. Und der Ansatz von Regisseur Tobias Kratzer, der die Ouvertüre nutzt, um mit der kleinen Eingangsepisode eine Folie über den Stoff zu legen. Eine Geschichte von Rebellion und dem gesellschaftlichen Umgang damit, aber auch von der Position der Kultur in unserer Gesellschaft.
Venus und ihr Reich also eine revolutionäres Kommando, die andere Welt: das christliche Abendland, der freie Westen, der Kapitalismus, der in die letzten Ritzen der Existenz vorgedrungen ist. Tannhäuser ist unzufrieden, hängt Elisabeth, seiner Liebe nach und den Unvollkommenheiten der Welt, aus der er kam. Venus muss ihn ziehen lassen.
Im nächsten Bild treffen wir Tannhäuser am Bühneneingang eines Theaters. Die Concierge erkennt ihn auf einem Fahndungsfoto, lässt ihn aber nicht auffliegen – ihre Sympathien für den Rebellen Tannhäuser sind stärker. Das Theater nimmt ihn schließlich auf, er war ja einer der ihren, ein großer Sänger, deshalb bekommt er eine zweite Chance.
Seine Resozialisierung will indes nicht klappen, statt von keuscher Liebe singt er von Sinnlichkeit, er fliegt auf, soll nach Rom, Buße tun. Auch da hat er schlechte Karten. Er kehrt als gebrochener Mann zurück. Venus lockt, Elisabeth aber auch, die ihm verzeihen will, beide Frauen werden von der GSG 9 auf dem Bahnhof Bad Kleinen erschossen, eine Bande Clowns singt von Vergebung – ein Witz. Aber ein guter. Weil es doch schwer erträglich ist, sich über eine gefühlte halbe Stunde lang den rein vom Text her öden Schuld- und Sühne-Quälereien auszusetzen, die – das muss dann natürlich auch gesagt werden – gesanglich und musikalisch so ein Genuss sind wie die gesamte Aufführung. Was neben dem Ensemble auch an der musikalischen Leitung von Marcus Poschner liegt, der für diese Inszenierung zurück zu Wagners Vorstellungen nicht zuletzt vom Gesang wollte, die übrigens erstaunlich wenig mit dem zu tun haben, was so gemeinhin unter Wagner-Gesang verstanden wird.
Für letzteres wurde dann auch begeistert gejubelt, während die Regie ein äußerst gemischtes Echo erntete. Buh-Rufe, die wohl genau das schalten, was eigentlich ein gewitzter, angenehm gebrochener Blick auch auf den Revoluzzer Richard Wagner war. Der sich in der Revolution von 1948/49 engagierte und später relativ mühelos zu Volk und Antisemitismus fand.
Damit positioniert sich das Bremer Musiktheater nicht nur erfreulich mutig, sondern auch künstlerisch erfolgreich für die neue Saison.
Foto: Jörg Landsberg
Es heißt: “ Der sich in der Revolution von 1948/49 engagierte und später relativ mühelos zu Volk und Antisemitismus fand.“
Wo ist der Widerspruch? Die Revolution von 1848 hatte sehr starke nationale und freiheitlich-völkische Bestrebungen, das deutsche Volk in Deutschland eben auch zu einen.
Ich sehe da keinen Widerspruch.
Antisemitismus war in der Zeit eine sehr stark verbreitete Geisteshaltung, da war Wagner eben einer unter vielen.