Mumble & Peg
Wenn du nach San Francisco gehst…
…schau ruhig mal in Oakland vorbei. Ein wenig abseits der Metropole und ihrer immer noch großen, aber von den Folgen des E-Commerce-Booms kräftig gebeutelten Szene, auf der anderen Seite der Bucht, treibt die Rockmusik in einem weiteren Sinne schönste Blüten. Zwar sangen schon die Hartwürste von Machine Head von Oakland und der Gewalt auf den Straßen, deretwegen man angeblich auch unbarmherzige Musik zu spielen hätte. Dessenungeachtet hat sich in der überwiegend von der schwarzen Community bewohnten Stadt, von Jess Mowry 1990 in „Oakland Rap“ aufs Desillusionierendste beschrieben, eine farbenprächtige, vielfältige, eklektische und experimentierfreudige Familie zusammengefunden. Vielleicht, weil in Oakland alles etwas überschaubarer ist als in San Francisco, und Shows entweder im Stork-Club, Oaklands einzigem Club für Live-Bands, oder in eher intimer Atmosphäre in irgendwelchen Garagen in Industriegebieten stattfinden, weil es im Grunde genommen nur zwei Studios gibt, in denen Bands aufnehmen können, weil es eigentlich auch nur ein Platten-Label gibt, in anderen Worten die Infrastruktur höchst übersichtlich ist, sind die Bande dieser Wahlverwandtschaft so eng geknüpft.
Enter: Mumble & Peg
Das deutsche Nois-O-Lution-Label übernahm vor zwei Jahren vom Oaklander Label Vaccination Records „This Ungodly Hour“, das zweite Album von Mumble & Peg – seinerzeit vom Kollegen Sandkämper im Intro hellsichtig gewürdigt. Die erste Gelegenheit, im ganz normalen Plattenhandel einen Einblick in die geschilderte Welt zu nehmen, waren die übrigen Veröffentlichungen der Posse schließlich nur über den Flight13-Mailorder erhältlich.
Nun erschien kürzlich das jüngste Werk von Mumble & Peg, „All My Waking Moments In A Jar“, bei Nois-O-Lution (siehe Rezension in Intro 82). Der düstere Folk wurde um aufwändige Arrangements und sporadische Rock-Ausbrüche ergänzt, und der Geist der Vaccination-Posse wirkte auch hier konstituierend. Aufgenommen wurde im Polymorph-Studio von Dan Rathbun, ehedem bei den Artrock-Irren von Idiot Flesh und seither bei Sleepytime Gorilla Museum, sowie bei Guerilla Recording, dem Studio von Myles Boisen, der auf dem Mumble-Album auch als Gitarrist zu hören ist. Desweiteren wären noch die erhebenden Posaunentöne von Tom Yoder bei „Paddock“ zu erwähnen. Yoder spielte bei den mittlerweile nunmehr aufgelösten Eskimo und bei Ebola Soup, zwei Bands, die meisterlich mit der kleinen Form umzugehen wussten und ebenfalls auf Vaccination veröffentlichten.
Das Label „für die alten Männer, die wir gerne sind“ (Venker/Volkmann)
Auf der Vaccination Farm hält Ol‘ Dren McDonald die nicht immer überschtlich geordneten Fäden in der Hand, seinerseits früher mit der Klezmer-Folk-Rock-Band Giant Ant Farm unterwegs, bei denen auch Jenya Chernoff spielte, die nach den Aufnahmen von „This Ungodly Hour“ Chuck Squier bei Mumble & Peg ablöste, der wiederum bei Idiot Flesh spielte, bevor Wes Anderson übernahm, der wiederum mit seiner neuen Band Schloss vor Mumble & Peg spielte, als die vor einigen Monaten im Starry Plough in Berkley ihre neuen Songs vorstellten, wobei ihnen u.a. Dan Rathbun, Myles Boisen und Tom Yoder assistierten. Querverbindungen galore, und man könnte fast ein Buch darüber schreiben (eines Tages werde ich das wohl auch noch tun müssen) oder einen dieser umfangreichen Stammbäume zeichnen, wie es sie in den siebziger Jahren gab, mit noch den zartesten Verästelungen, Bands, Projekten, und Platten. Zur Zeit spielt und singt Dren bei Grndntnl Brnds, bei denen desweiteren eine Sängerin der legendären Band Fibulator singt, Tom Scandura trommelt, den Eingeweihte von der Jazz-Core-Noise-Kapelle The Molecules kennen könnten – noch Eingeweihtere außerdem noch von Spezzo Rota, die italienischen Belcanto mit Vertrackt-Rock der Sorte Eskimo verquicken, wofür der Einfachheit halber gleich ein paar Eskimo-Musiker einstiegen. Da gibt es jedenfalls noch einiges zu entdecken. Demnächst stehen laut Dren bei Vaccination Platten – übrigens allesamt in liebevoll gefalteten Pappcovern oder auch mal Blechdosen – von Rube Waddell, den Red Bennies (ausnahmsweise aus Salt Lake City), Sleepytime Gorilla Museum (feat. Mitglieder von Charming Hostess, Tin Hat Trio, Idiot Flesh) und eine neue von GrndNtl Brnds an.
Good Old Rock – Nothing Beats That
Kehren wir zurück zu Mumble & Peg (ist ja hier sonst ein Fass ohne Boden), die es gar nicht so überraschend finden, dass ihre neue Platte auch mal Lärm schlägt.
Jenya meint: „Es gab schon auf der ersten Single lauten Rock, und die erste Show, die Mumble & Peg je gespielt haben, war eine 45-minütige laute Rock-Version von Brian Enos ‚Driving Me Backwards‘ mit vier Schlagzeugern. Möglicherweise verwandeln wir uns gerade in den Urzustand zurück…“
Im Moment sieht es jedenfalls so aus, als wären Mumble & Peg zugänglicher denn je.
„Zugänglich… Ich hoffe, die Leute hören sie sich an“, äußert Erik etwas skeptisch, Jenya will wissen, ob zugänglich sowas wie Britney Spears meint. „Ich muss kotzen, wenn ich sie höre.“
Erik vermutet, es könnten die lauten Gitarren sein, die meinen Eindruck erwecken, Bassist Matt Lebofsky findet die Platte gut produziert, das mache sie womöglich eingängig.
Bohêmische Lebensführung?
In den Songs von Mumble & Peg wird viel geraucht. Oft sitzt das lyrische Ich in Bars, Plattenläden und Happenings. Das alte Bohême- bzw. Slacker-Ideal einer verlängerten Jugend?
„Ich verbringe viel Zeit mit meinen Katzen. Ich würde das nicht bohêmisch nennen. Meine Katzen sind gute Katzen. Ich rauche. Ich sehe viel fern und sammle Platten. Ich verbringe viel Zeit mit Virginia, meiner Liebsten. Das war’s so ungefähr…“, gibt Erik zum Besten. Matt kann damit schon eher etwas anfangen: „Ich glaube, diese Welt ist zu kompliziert. Um ein funktionierendes Mitglied der Gesellschaft zu sein, musst du sechzehn Jahre zur Schule gehen, den Führerschein machen, wissen, wie man wählt, kocht, den Videorecorder programmiert, und doch werden wir als Individuen weniger und weniger produktiv. Das kann für die Zukunft der Menschheit nicht gut sein. Wir sollten uns nicht darüber sorgen müssen, im Verkehr stecken zu bleiben, sondern zuhause bei unseren Katzen sein.“
Da ist ihnen natürlich Oakland nicht ruhig genug. „Ich glaube das Beste wäre es, dass die Musiker sich zusammentun und irgendwoanders hinziehen, unsere eigene Stadt aufmachen und den Immobilien-Maklern die Bay Area überlassen“, sagt Erik. Ein Leben in Abgeschiedenheit, für die Kunst, mit der ganzen Familie, der Siedlungsgedanke – dann doch wieder recht klassische Bohême-Vorstellungen.
Der unaufhaltsame Aufstieg Oaklands
San Francisco hat explodierende Mieten, Lagerhäuser werden in teure Lofts umgewandelt, bis auf „Bottom Of the Hill“ in der Mission haben die meisten Clubs geschlossen, in denen Bands abseits des Rock-Mainstream spielen können. Neulich wurde auch noch ein gigantischer Proberaumkomplex geschlossen, in dem an die 150 Bands probten. So sieht das aus.
„Ja“, sagt Jenya, „die Explosion der Technologie-Industrie tat ihr Bestes, aus der Bay Area ein kulturelles Brachland zu machen, wo man nicht spielen kann, es sei denn mit einer Coverband auf Firmenparties. Die kleinen Clubs sind dicht und die Musiker geflohen. Keine Frage, die Künste in San Francisco haben gelitten. In Oakland gab es lange keinen Ort zum Auftreten, aber was untergeht, muss auch wieder nach oben kommen. In optimistischen Momenten sehe ich Oakland aus der Asche steigen, während die Dot-Coms abstürzen. Vielleicht ist die Zeit für die Eastbay gekommen.“ Und für den Rock, wie Erik spekuliert: „Bush ist jetzt Präsident und baut eine Menge Mist. Das ist gut für die Musik. Es wird Chaos und Wut geben. Die Leute werden trinken und laute Musik hören wollen, feiern und dem Alltag entfliehen.“
Erik Carter allein auf der Straße
Im April/Mai wird Erik die Songs der neuen Mumble-Platte im Vorprogramm der Nois-O-Lution-Labelmates auch hierzulande singen, allein zur Gitarre. Nicht nur, dass Jud-Sänger/Gitarrist Dave Clemmons ab und an ähnliches tut, auch sonst dürfte das eine höchst willkommene Ergänzung des schweren Alternative-Rock der Kalifornier darstellen.
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