Vor zehn Jahren (BREMER 12/2000)


GODSPEED YOU BLACK EMPEROR

Lift Yr. Skinny Fists Like Antennas To Heaven!

KRANKY/HAUSMUSIK

SIGUR RÓS

Ágætis Byrjun

FAT CAT RECORDS

Über diese Band schreiben sich derzeit unzählige Schreiberlinge die Finger wund. Es wird hinein interpretiert, dass es nur so kracht. Wo doch schon sonst nichts kracht, bei diesen Bands, sprich: alles anscheinend Wohlklang bis zum Abwinken ist, und deshalb nicht ganz unpassend auf Artrock, Marke frühe Siebziger verwiesen wird.

GYBE sind dabei auf jeden Fall die bessere Band. Zwar wirken auch sie vordergründig über Majestät und Erhabenheit. Selten verirrt sich mal ein Bröckchen Krach in die ausladenden Kompositionen, die allerdings, wesentlich unterschieden vom erwähnten Artrock, keinen gesteigerten Wert auf Virtuosität legen.

Im Unterschied zu ihren isländischen Kollegen von Sigur Rós erschöpft sich ihre Musik jedoch nicht im Schönklang, der bei letzteren noch mit einem Gesang überzogen wird, der – unfreiwillig oder nicht – ins Esoterische reicht. GYBE bevorzugen dunkle Farben, wuchtige Passagen, und ihre Musik ist bei aller Schönheit nicht glattpoliert. Der Pathos findet hier eine durchaus ansprechende Form, wo Sigur Rós vor lauter Ergriffenheit über ihr Tun schwer in Verzückung geraten und gar nicht mehr aus ihrem Paralleluniversum heraus wollen. Je nach Geschmackslage mag man sich dem anschließen. Oder man mag vielleicht lieber doch ganz diesseitig mit GYBE die Fäuste recken. (Es geht die Rede, bei denen handele es sich um Leute mit ausgeprägtem Drang zur Revolte.) Bei aller stilistischen Nähe sind die Unterschiede beträchtlich.

 

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Vor zehn Jahren (taz, 31.1.2001)


Heute heißt der zur Rede stehende Verlag mox & maritz, „Paradoxie“ wurde kürzlich wieder aufgelegt.

Out for Lunch

Der Bremer Verlag mirandA-Verlag hat jetzt die Bücher der Punk-Avantgardistin Lydia Lunch auf Deutsch veröffentlicht

Es gibt da einen merkwürdig ergötzlichen Film, in dem Henry Rollins, damals noch mit echter Metaller-Matte, allerdings schon mit aufgeblähter Muskulatur und einigen Tätowierungen, Lydia Lunch durch Berg und Tal verfolgt. Es wird nicht gesprochen. Wie ein Raubtier stampft Rollins durch die Wildnis, bis er sein Opfer in einer Hütte stellt. Es gibt dann, wie in anderen Lunch-Filmen auch, Sex. Manche Leute nennen das pornographisch. Dafür spricht einiges, handelt es sich doch stets um äußerst explizite Darstellungen.

Allerdings sind diese Filme anscheinend doch noch etwas anderes – Statements, und, wie mit Blick auf das Gesamtwerk ersichtlich wird, ist das möglicherweise Pornographische eben nur eine Facette des bizarren Oeuvres, zu dem ansonsten noch Musik, Literatur und bildende Kunst gehören.

Das Mitteilungsbedürfnis scheint jedenfalls ausgeprägt zu sein. Sei es eine Kollaboration mit Sonic Youth, ein Spoken Word Album wie ihr neues, „Devil’s Racetrack“, ein Beitrag zu einem Tribut-Album für Tom Waits mit dem unbedingt zu entdeckenden Freejazz/Rock-Gitarristen Nels Cline; seien es ein paar weise Worte für den Elektronik-Act Arkkon oder eben Romane.

Dank des kleinen Bremer mirandA-Verlags gibt es nun zum ersten Mal auf Deutsch zu lesen, was uns Frau Lunch zu sagen hat. „Belastende Indizien“ und „Paradoxie – Tagebuch eines Raubtiers“ heißen ihre ersten Bücher, und sie sind in ihren Darstellungen ebenfalls sexuell äußerst explizit, sie sind voller Gewalt, und sie enthalten in kleiner Form, was dem Gesamten zu Eigen ist: Lunchs Geschichten wuchern in alle Richtungen, der Grundton ist dunkel, der Stoff wird ohne Distanz vorgeführt, in einem einzigen autistischen inneren Monolog, voller Widersprüche und Selbstentblößung.

Das Leiden, zu dessen Therapie Lydia Lunch diese Bücher eigenen Aussagen zufolge geschrieben hat – der Missbrauch durch den eigenen Vater, ein selbstmörderisches Leben im Untergrund New Yorks -…  diese Erfahrungen sind unverhüllt autobiographisch. Sie scheinen völlig unreflektiert den Gedankenwust wiederzugeben, der das Ergebnis der ganzen Widersprüche ist. Im gleichen gehetzten Ton sprechen beispielsweise die Figuren in den Romanen Hubert Selbys, der passenderweise das Vorwort für „Paradoxie“ schrieb. Nur bei Selby sind es eben Romanfiguren.

In diesem Sinne sind die beiden Bücher Lydia Lunchs Dokumente, auch einer Szene, in der Typen wie Nick Cave oder Jim G. Thirlwell (Foetus), heute längst veritable Ikonen, noch stürmten und drängten. Da ist die Ästhetik des Punk, Renitenz, Verweigerung, Bürgerschreck. Und da ist eine dementsprechende Kritik an der Gesellschaft, die das Risiko nicht einging, sich ihres rebellischen Schwungs durch Theoriebildung berauben zu lassen. Der Untertitel von „Belastende Tatsachen“ lautet „Tiraden, Monologe, Stücke“. Die Tirade ist die diesem Inhalt angemessene Form.

Lydia Lunch hat Henry Rollins übrigens noch immer an den Hacken: Das nächste Projekt des mirandA-Verlags sind verschiedene Werke des auf eine sicher andere Weise, aber genauso sicher ebenso verschrobenen ehemaligen Sängers von Black Flag. Auch der ist wohl eher ein Gesamtkunstwerk (jetzt isses raus!) als ein großer Schriftsteller. Aber auch diese Selbststilisierung machte und macht eben einen Teil jener Postpunk-Kunst à la Lunch aus.

Noch ein Interview mit Fugazi (Trust #80)


FUGAZI

 

Ich habe selten auf einem Konzert so vielE leuchtende Augen gesehen, wie bei den Fugazi-Shows im September. Und ich hatte mich auch darauf gefreut, und z7ar spätestens seit ‚End Hits‘, nachdem mir die Band lange Zeit eigentlich ziemlich egal gewesen war. Auch wenn es beispielsweise im SO36 ein wenig zu viel der Freude auf Fugazi war, weshalb vor dem Club noch mehrere Hundert standen, die gern hineingewollt hätten, während es drinnen so voll war, dass man nicht viel davon hatte, es hineingeschafft zu haben, falls man es nicht ins vordere Drittel der Halle geschafft hatte.

Weil jedenfalls die diesjährige Europa-Reise offenkundig ein gesellschaftliches Ereignis war, haben wir vom TRUST mit Ian MacKaye gesprochen, um mehr über eure Lieblinge zu erfahren. Für euch!

 

Das ist die erste Fugazi-Tour in Deutschland seit drei oder vier Jahren?

Ian: Ja, seit 1995.

Danach sollst du einige gesundheitliche Probleme gehabt haben?

Ian: Das fing Ende 1996 an, da bin ich in Australien zusammengebrochen, als wir halb mit unserer Asien und Australien Tour fertig waren. Ich hatte sehr sonderbare gesundheitliche Probleme. Am einen Tag ging es mir gut, und am nächsten Tag hatte ich eine Lungenentzündung und meine Lunge kollabierte. Ich war 16 Tage im Krankenhaus, wurde operiert und die Tour wurde natürlich abgebrochen. Das war schon eine ziemlich einschneidende Erfahrung. Die Ärzte haben mir dann eine sechsmonatige Zwangspause verordnet, so dass wir von Januar bis Juni 1997 nicht touren konnten. Also haben wir uns darauf konzentriert, neue Songs zu schreiben, die schließlich ‚End Hits‘ geworden sind. Wir wollten dann im Juni die abgebrochene Tour beenden, aber Brendan hat in dieser Zeit geheiratet, und er und seine Frau erwarteten im Oktober ein Kind. Er sagte uns dann: ‚Ok, wir touren, aber nur bis zum ersten September‘. Also hatten wir nur diesen Zeitraum von Juni bis zum ersten September zur Verfügung, um die Tour in Australien und Neuseeland zu beenden und eine Südamerika Tour durch Brasilien, Argentinien und Chile zu machen. Danach war wieder für sechs Monate Pause, wegen des Kindes.

Totale Pause?

Ian: Nein, wir haben nie längere Zeit gar nichts gemacht. Auch wenn wir mal nicht touren, stecken wir viel Arbeit in die Band. Ihr müsst euch nur mal vor Augen halten, dass wir seitdem das ‚End Hits‘, den Film und den Soundtrack zum Film veröffentlicht haben. Im Herbst 1997 haben wir das Album aufgenommen und gemixt, und im Dezember arbeiteten wir am Film. Im Frühjahr 1998 wurde dann ‚End Hits‘ veröffentlicht, und im Laufe des Jahres haben wir weiter am Film gearbeitet und einige Touren gemacht. Aber wir konnten nie länger weg. Die Tour jetzt ist die längste seit 1997, weil Brendan wegen des Babys natürlich nicht so lange weg kann.

Wie lang geht diese Tour?

Ian: Einen Monat. Ich glaube die längste Tour damals war drei Wochen. Wir wollten auch die ganze Zeit nach Europa kommen, da uns schon viele Freunde gefragt haben, wann wir denn endlich wieder in Europa spielen. Das Problem ist, dass es hier einfach zu viele Orte gibt wo man auftreten kann, z.B. haben wir im Anschluss an diese Tour, noch eine extra Skandinavien Tour, weil es sonst zuviel an einem Stück wäre. Mit dieser Tour konzentrieren wir uns ausschließlich auf Mitteleuropa. Bis Januar müssen wir damit durch sein, weil Brendan und Michelle ihr nächstes Kind erwarten. Das ist die Planung für den Rest dieses Jahres.

Es war zu lesen, dass ‚End Hits‘ nicht in einem Stück geschrieben und aufgenommen wurde. Ist das Album eher das Resultat einer längeren Entwicklungsphase?

Ian: Wir haben einen Teil im Frühling und den Rest im Herbst aufgenommen. Als Brendan Vater wurde unterbrachen wir erst einmal die Aufnahmen, um zu touren, denn die Platte konnten wir ja noch später fertigstellen, wenn Brendan keine Zeit zum Touren mehr hatte. Zu Hause haben wir eben genügend Zeit ins Studio zu gehen, wir können aber nicht touren, wenn wir zu Hause bleiben müssen. Es war schon schwierig sich mit dieser Situation zurechtzufinden, weil es in der Band 10 bis 11 Jahre lang normal war, dass wir sechs Monate im Jahr touren und den Rest des Jahres arbeiten. Mittlerweile sind die meisten von uns verheiratet und haben Kinder. Unsere Eltern werden auch immer älter, und meinen geht es beispielsweise auch nicht mehr so gut. Ok, so ist das Leben und wenn zehn Jahre lang Fugazi den größten Teil unseres Lebens ausmachte, bestimmt heute eben das Leben einen Großteil von Fugazi. Und wenn es bedeutet, dass wir weniger oder gar nicht spielen können, dann ist das eben so. Gestern Abend meinte einer zu mir, die Leute seien enttäuscht, weil wir vier Jahre gebraucht haben, um wieder hier zu touren. Ja, tough shit, wir wären ja gerne früher gekommen, aber es ging einfach nicht. Wir sind eben keine Maschinen, oder ein gewerblicher Gegenstand. Wir sind Lebewesen und brauchen solange, wie es nun einmal dauert. Wir sind nicht lebenswichtig, wie die Luft, die Leute brauchen uns nicht zum Überleben. Also denke ich, dass wir niemanden wirklich damit betrügen, wenn wir nicht jedes Jahr kommen.

Ok, die Menschen können auch ohne Fugazi leben, aber könnt ihr noch ohne die Band und ihr Umfeld, wie z.B. das Dischord-Label, leben?

Ian: Es stimmt schon, dass es unser Leben total beeinflusst, aber trotzdem ist das alles für uns nicht notwendig um zu überleben. Es ist aber lebensnotwendig, wenn es um unser Herz geht, denn ‚this band is fucking important to us!‘ Wir vier haben all die Jahre hart daran gearbeitet etwas zu schaffen, dass uns etwas bedeutet. Das ist auch der Grund, warum es uns so ernst damit ist, alles selber zu entscheiden. Wir entscheiden, wann und wo wir spielen, welche Songs und Platten wir veröffentlichen. Deshalb unterschreiben wir auch nicht bei jemand Anderem und lassen den entscheiden. Wir nehmen das sehr ernst, und nur so, wenn wir vier wie eine Einheit agieren kann die Band bestehen. Sollte einer von uns aufhören, wäre es auch automatisch das Ende der Band. Jeder hat natürlich das Recht zu gehen, aber für jeden von uns wäre es eine schwere Entscheidung, da die Band eben mehr als “nur” Musik für uns ist.

Was würde denn nach der Band passieren?

Ian: Ich mache mir keine großen Gedanken über die Zukunft. Das habe ich auch noch nie gemacht. Hätte mir jemand vor 20 Jahren gesagt, dass ich heute hier im Schlachthof in Bremen sein würde, hätte ich das ganz klar verneint. Hätte mich jemand vor zehn oder fünf Jahren das Gleiche gefragt, hätte ich es mir auch nicht vorstellen können. Ich mache mir einfach keine Gedanken über die Zukunft. Die Vergangenheit ist für mich ‚written, done, sealed and closed‘. Eine abgeschlossene Sache, aus der man aber viele Lehren ziehen kann. Die Zukunft ist unbekannt und unplanbar. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass es so kommt, wie man es gerne möchte. Die Gegenwart ist für mich das Wichtigste und einzig Wahre. Ok, ich weiß, wo ich in einer Woche oder einem Monat sein werde, aber ich weiß eben nicht, wo ich in einem Jahr sein werde.

Aber du würdest schon sagen, dass deine Handlungen in der Gegenwart unbekannte Konsequenzen auf die Zukunft haben, oder?

Ian: Natürlich!

Ein Teil euerer, ich nenne es mal Politik, basiert auf dieser Lebenseinstellung, oder? Die Art und Weise, wie ihr das Label und die Band führt, dass ihr Sachen unternehmt und wiederum andere Sachen unterlässt, um die Band davor zu schützen einen Weg einzuschlagen, den ihr nicht gehen wollt?

Ian: Ich denke wir versuchen einfach, die Sachen so zu machen, wie wir davon überzeugt sind, dass sie richtig sind. Das ist Alles.

Nach welchen Kriterien trefft ihr eure Entscheidungen?

Ian: Wir machen das instinktiv. Schwer zu beschreiben, aber als Beispiel, ich könnte dich hier jetzt auch beleidigen. Es ist aber nicht das, was ich instinktiv machen würde, es ist einfach nicht meine Art, und so ist es auch in den geschäftlichen Sachen. Wenn mich jemand fragen würde, warum wir dies oder jenes nicht machen, kann ich nur sagen, dass es da keinen bestimmten Grund für eine bestimmte Situation gibt. Es gibt keine bestimmten Regeln, an die wir uns halten, und es wird alles von Fall zu Fall unterschiedlich beurteilt. Das Leben und die Umstände ändern sich ja auch ständig, so dass wir auch immer neu entscheiden müssen. Hätten wir das Interview vor zehn Jahren gemacht, wären unsere Lebensumstände total anders gewesen. Alles entwickelt sich, und ich mache einfach, was ich für richtig halte, und versuche, kein Arschloch zu sein. Als Band sind wir notorisch dafür bekannt, dass wir Leute im Publikum anschreien, oder beschimpfen, aber für mich ist das okay, denn die Leute, die es trifft, sind Personen von denen wir sehen, dass sie andere Menschen verletzen. Auf vielen Konzerten ist es so, dass sich niemand darum kümmert, wenn so etwas passiert. Und ich frage mich immer: Wieso sagt niemand etwas dazu? Würde jemand in einem Restaurant verprügelt, würde ich auch versuchen das zu verhindern. Was dann zur Folge hat, dass man uns nachsagt, wir würden den Leuten sagen, was sie zu tun haben, und wir wären Arschlöcher. Aber es ist okay, wenn ich ein Arschloch bin, weil ich versuche zu verhindern, dass sich andere wie Arschlöcher benehmen. Dann bin ich eben ein Arschloch.

Wenn ihr eure Entscheidungen instinktiv trefft, ist es dann möglich, mit Leuten, deren Meinung und Überzeugung einem Konzept entspringt, argumentativ einen Konsens zu bilden?

Ian: Klar. Wenn ich instinktiv sage, bedeutet das für mich einfach, dass ich in jeder Situation neu entscheide, was richtig für mich, die Band oder das Label ist. Ich habe keinen Apparat der mir sagt, was richtig oder falsch ist. Es wird alles von meinem Herzen entschieden. Ich weiß natürlich auch, dass ich falsch mit meiner Meinung liegen kann, und dass ich Fehler mache, aber das macht mir nichts. Ich muss niemandem beweisen, was richtig oder falsch ist. Ich mache es mir nicht zur Aufgabe, andere Menschen zu kritisieren. Es gibt eine lange Liste mit Leuten, Politikern und Bands, die das machen, das ist aber nicht meine Art. Ich kann in den Lieder und Texten sagen, wie ich die Dinge sehe, will aber niemandem vorschreiben, wie er sein soll. Die größten Kritiker sind in den meisten Fällen für mich auch die größten Heuchler. Die überzeugtesten Straight Edge Kids der Welt sind meist die, welche in fünf Jahren Drogen verkaufen.

Natürlich, jeder macht mal Fehler. Die Art wie ihr eure Sachen macht, unterscheidet sich ja sehr vom Rest der Branche?

Ian: Du kennst wahrscheinlich nur solche, die es nicht so machen. Ich jedoch kenne viele, die so arbeiten. Es ist einfach die Art wie es die meisten in der Punk Szene machen. Und auf einem niedrigeren Level arbeiten fast alle so.

Beinhaltet diese Vorgehensweise eine Kritik am Musikgeschäft? Es gibt ja diese Geschichten von Millionen-Angeboten von Majorlabels, die Ihr abgelehnt habt.

Ian: Als wir damals mit Punkrock in Washington angefangen haben, gab es noch keine Szene und kein Business, Labels, usw. dort. Es gab auch keine Anleitung, nach der wir uns hätten richten können. Also haben wir unsere eigene gemacht und das natürlich so, wie wir es für richtig hielten, nämlich auf die Punkrock-Art. Später, als die Musikindustrie die Szene in ihre Schablone gepresst hat, fanden wir, dass wir nicht in dieses System passen, denn da geht es nicht um Menschen, sondern es geht um eine Industrie, ein Business und wir sind Menschen. Andere dachten, wir müssten es nun vielleicht so wie die anderen machen, aber das ist Bullshit und das war schon immer Bullshit. Ich kann Bands verstehen, die, wenn sie einen bestimmten Punkt erreicht haben, Verpflichtungen abgeben wollen. Wir wollen das nicht. Es ist schwierig das in Metaphern zu beschreiben, aber es ist vergleichbar mit der Autobahn. Die Industrie ist die Autobahn. Sie ist grade, du kommst schneller ans Ziel, aber du hast weniger davon, als wir auf der langsameren Landstraße. Es war aber nie so, dass wir gesagt haben: ‚Wir wollen nicht so wie die Industrie arbeiten, also machen wir es anders.‘ Wir haben es einfach so gemacht, weil wir dachten es sei richtig. Außerdem möchten wir auch keine Kompromisse eingehen müssen, deshalb haben wir auch nie bei einem Majorlabel unterschrieben. Ich kann aber nicht pauschal sagen, dass es schlecht für eine Band ist, bei einem Majorlabel zu unterschreiben, weil es nicht die Wahrheit ist, denn ich glaube nicht, dass es für jede Band schlecht ist. Für Bands, die es nicht alles selber organisieren können, ist es sicher gut, sich die Dreckarbeit abnehmen zu lassen, denn das ist ganz schön viel Arbeit, die nicht jeder machen kann. Es kann ja auch nicht jeder ein Haus bauen. Persönlich bin ich natürlich der Meinung, dass man es selber machen sollte, aber das ist eine persönliche Meinung, die eigentlich niemand anderen etwas angeht, da sich jeder seine eigene Meinung bilden sollte.

Es ist aber schon so, dass sich Menschen für eure Meinungen interessieren.

Ian: Nimm z.B. mal Henry Rollins. Ihm wird oft vorgeworfen, dass er Major-Platten und -Filme macht. Dass er ein ‚big fucking sellout‘ ist. Was die wenigsten wissen ist, dass Henry das meiste Geld dafür benützt, Platten von Bands wie Gang Of Four, oder Bücher auf seinen Labels zu veröffentlichen, weil er denkt, dass es wichtig sei. Ihm ist es scheißegal, was andere darüber sagen. Er macht das, weil er Geld braucht, diese Sachen zu veröffentlichen, und das respektiere ich.

Beschränkt sich deine ‚Politik‘ nur auf die Musikindustrie?

Ian: Natürlich nicht, aber ich kann nicht für andere Bereiche reden. Ich bin kein Bäcker, kann also nichts über die Nahrungsindustrie sagen. Ich kann aber sagen, wie ich glaube, dass Menschen miteinander umgehen sollten. Das ist eben unabhängig von einer bestimmten Industrie.

Es gibt Bands, wie The Ex, die ganz konkrete politische Vorstellungen verbreiten. Ist dieses Vorgehen für euch nicht interessant?

Ian: The Ex wollen erziehen. Ihnen geht es nicht um einen bestimmten utopischen Lebenswandel, sondern darum, Leute auf andere Möglichkeiten hinzuweisen, ihnen zu zeigen, dass auch anders geht.

Ich denke auch, dass es der Band um die Theorie geht, aber sie haben auch konkrete politische Inhalte in Ihren Songs, wie sie es bei euch nicht gibt.

Ian: Da gebe ich dir recht. Es ist auch schwierig. Nicht jeder beherrscht eine andere Sprache so gut, dass er den kompletten Sinn versteht. Ich kann gerade mal ein paar Brocken deutsch, und ihr könnt das Interview auf Englisch machen. Und wir spielen auf der ganzen Welt. Für mich ist Musik die universelle Sprache. Was ich sagen will ist: Musik ist eine andere Form der Kommunikation, außerdem verbindet sie viele Menschen miteinander. Ich mag The Ex. Ich mag aber auch The Cramps. Das war mein erstes Punkrock Konzert überhaupt. Ihr Song ‚Garbage Man‘ hat mich so stark angesprochen. Auch wenn er nicht sehr viel Politik beinhaltet, hat er doch die Art wie ich fühlte verändert. Ich finde die Texte und die Bücher von The Ex wirklich sehr interessant. Es ist nicht die Art, wie ich es machen würde. Ich finde es aber gut. Ich finde auch gut, was The Cramps gemacht haben. Jeder soll es einfach auf seine Weise versuchen. Das ist es ja auch, was die Punkrock Szene so schön macht. Als ich zum ersten mal Punkrock gesehen hab, dachte ich nicht: ‚Wow, das ist die eine von der Norm abweichende Art und Weise‘. Es war eine ganze Ansammlung abweiichender Menschen, die viele verschiedene abweichende Dinge taten, die alle Bereiche des Lebens betrafen. Und das hat mich schon stark verändert.

Stimmt es, dass ihr nie eine Playliste vor einem Auftritt macht?

Ian: Eine Minute vor dem Auftritt entscheiden wir, was wir als ersten spielen. Danach ist es alles spontan. Das kommt daher, dass wir früher beim Proben noch keine Namen für die Songs hatten und von einem Song zum nächsten gegangen sind. Das klappt auch ganz gut, da fast immer die Gitarre die Songs beginnt, und die anderen dann einfach einsteigen können. Es hat sich von damals bis heute so entwickelt, dass es ohne Probleme funktioniert. Außerdem singt mal Guy und mal ich den Song, so dass, wenn ich einen Song gesungen habe, der nächste einer sein wird, den Guy singt. Wenn die Gitarre oder der Bass nicht anfängt geben wir uns einfach Signale. Vor dieser Tour hatten wir wenig Zeit zum Proben, so dass ich auch etwas Bedenken hatte, ob alle sich immer an alles erinnern werden, aber gestern haben wir zwei Stunden gespielt, und alles lief wie am Schnürchen. Je weniger du darüber nachdenkst, um so besser klappt es. Wenn du deinen Kopf abschaltest, werden sich deine Hände daran erinnern.

Kommt es denn vor, dass jemand sich nicht erinnert?

Ian: Ja, natürlich. Aber das ist das Risiko. Deshalb würden wir auch nie dreißig Mark für ein Konzert nehmen, denn es könnte ja voll in die Hose gehen.

 

fragen: jörg/stone

Der zärtliche Zyniker


Big in Japan

Zwei Wochen Japan – aufregend, to say the least. Vorbereitung mit Reise- und Sprachführer, letzteres aussichtslos. Nach Nagoya soll es gehen. Fast niemand, den ich kenne, war je in Japan, geschweige denn Nagoya. Im Internet finde ich das Urteil, die Zeit, die der Schnellzug „Shinkansen“ dort halte, sei die Zeit, die die meisten Menschen in Nagoya verbrächten – und das genüge eigentlich auch. Auch wenn Expo ist, während ich dort bin. Es sei teuer, ist zu hören, jemand weiß immerhin, wo man in Tokyo billig technische Geräte kaufen kann. Und Sabine, die schon da ist, sieht wenig von Nagoya, weil sie eine Ausstellung vorbereiten muss und der Taifun in der Nähe vorbeizieht und man nicht hinauskann und und und.

Also hinfliegen. Was ist das immer langweilig. Ich schaue mir in Hamburg noch Wilco an und laufe durch den Regen vorbei an Sex-Shops, Dönerbuden, Sexshops, Spielhallen, Dönerbuden und Sexshops.

Am nächsten Morgen am Flughafen treffe ich mich mit einer Freundin zum Frühstück, die mich später, als ich schon vorm Zöllner stehe, noch einmal anruft und fragt, was sie meiner Meinung nach den kommenden Sonntag wählen sollte. Ich sage: „Gar nichts“. Sie fragt warum. Ich schaue dem Zöllner ins Gesicht. „Weil es nicht dein Mittel ist.“ Was er wohl glaubt? „Und wenn ich doch etwas wählen will?“ Dann solle sie etwas nehmen, was garantiert nicht hineinkomme, das würde sie vor enttäuschtem Idealismus bewahren. Sie sagt, so habe sie sich das auch gedacht. Für den Flug nach London kriegen wir nur ein Tüte mit Plastiksandwiches. Irgendein Stress zwischen Fluggesellschaft und Cateringfirma. Dann nach Tokyo. Zuerst ist alles noch ganz normal. Irgendwelche Leute aus irgendwelchen Ecken der Welt rennen emsig herum, telefonieren, kaufen Zugtickets, wollen ihre Anschlussflüge erwischen oder begrüßen jemanden, der sie abholt. Mich holt niemand ab, ich muss weiter nach Nagoya. Noch sprechen die Leute Englisch, die Schilder sind immer auch in lateinischen Buchstaben gedruckt, man kann an jeder Ecke Geld aus dem Automaten ziehen. Der Zug nach Nagoya kostet ein Schweinegeld, dafür braucht der Shinkansen gerade mal eine Stunde und 45 Minuten für die Strecke, die in etwa der Distanz Berlin – Bremen entspricht. Und halten tut er auf dem Weg nur einmal. In Yokohama, einem Vorort von Tokyo, wie es mir vorkommt. Dass es mit 3,5 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Landes ist, lese ich erst später. Stadt fliegt an mir vorbei. Sie hört gar nicht auf, außer dass zwischendurch mal ein Reisfeld kommt, aber das ist auch Stadt, im Norden erheben sich dann die Berge, aber es ist diesig, weshalb man davon nicht so viel sieht. Der Schaffner kommt ins Abteil, verbeugt sich vielfach und geht dann seinem schmutzigen Handwerk nach. Als ich in Nagoya aussteige, merke ich erst, wie heiß es hier ist. Nach einer Weile erreiche ich endlich jemanden unter der Nummer, der einzigen, die ich habe, und warte vor dem Bahnhof. Sie hat sich schon so an den körperlosen Umgang der Japaner miteinander gewöhnt, dass sie mich zuerst nicht in den Arm nimmt oder gar küsst. Später erzählt sie mir von einem japanischen Pärchen, dass sich nach monatelanger Trennung das erste Mal wiedersah und lächelnd voreinander einen kuriosen Hüpftanz ausführte. Das höchste der Gefühlsäußerung.

„Hinab in die weißen Schlünde der Unterwelt“, wie es mein alter Kumpel Horst einmal nannte, fuhren wir, ab in die Vorstadtbahn, die nach Nishiharu fährt, welches von den Deutschen, auf die ich später noch zu sprechen kommen werde, Delmenhorst getauft.

Die Hitze, diese ganzen Menschen, die nicht aussehen wie wir, alle viel kleiner sind als ich und mich mit Neugier mustern (und manchmal vielleicht auch mit Widerwillen, als ich einmal mein schulterfreies Herrenunterhemd trage). In Nagoya am Bahnhof habe ich vielleicht noch drei weitere Langnasen, Gaijin oder wie immer sie die anderen nennen, gesehen. In Nishiharu? Keine. Außer meiner Liebsten natürlich und den anderen Deutschen, die hier an einem Kunststudentenaustausch teilnehmen.

Die nächsten Tage helfe ich Sabine, ihre Ausstellung zu vollenden und gewöhne mich so langsam an diese komischen kleinen Leute, die sich ständig verbeugen „wie ein Reishalm im Wind“, wie es mein Sprachführer poetisch formuliert. Ein paar Ausflüge in die Stadt, der Flohmarkt, auf dem es ganz ungeniert Pornos zu kaufen gibt, allerdings ausschließlich mit asiatischen Darstellerinnen, zum Teil vielleicht eigentlich zu jung dafür, das nimmt man möglicherweise hier nicht so genau. Rohes Rind, komische Bohnen, Hühnerherzen (wie ihr wisst, überlebt auch der Vogelgrippevirus das ganze Kochen und Grillen nicht), Sake, japanisches Bier, das so einigermaßen trinkbar ist, nette Irakaras, das japanische Pendant zur hiesigen Eckkneipe, in denen es zu den Drinks auch immer kleine Snacks gibt, natürlich nicht umsonst. Außer der Toilettenbenutzung ist hier nichts umsonst. Aber immerhin die. Ein Zeichen für den relativen Wohlstand in Japan? Anderes zumindest scheint darauf zu deuten: Weniger Zäune und Schlösser und Ab- und Ausschluss zumindest der vordergründigen Art. Die Obdachlosigkeit hält sich in Grenzen, gebettelt wird nicht, aber das kann schließlich auch andere Gründe haben – wie dass es vielleicht verboten ist. Oder es ist noch die Hilfsbereitschaft, die hier – womöglich Gebot der Höflichkeit, trotz ihrer prinzipiellen Verlogenheit eine bisweilen angenehme Sache – durchgesetzt ist. Die gehen wirklich einen Kilometer mehr mit dir, um dich vor dem Postamt abzustellen, nach dem du sie gefragt hast. Und ein Gastwirt rief eigens per Mobiltelephon einen Bekannten an, der Englisch konnte (zumindest besser als der Wirt mitsamt Belegschaft), auf dass der uns die Speisekarte erkläre. Unzählige Höflichkeitsfloskeln, mehrere Funklöcher und einige Missverständnisse später, und zur Freude des gesamten Lokals hatten wir einen Berg Köstlichkeiten auf dem Tisch und ließen es uns wohlgehen.

Die Ausstellung wurde jedenfalls mit einem Riesenfest eröffnet. Es ist nämlich nicht so, dass alle Japaner keinen Alkohol vertragen. Es sind nur einige. Und auch die lassen sich manchmal durchaus hinreißen, es trotzdem zu tun. Sie trinken allerdings ganz allgemein weniger als wir. Dafür haben sie Schirme dabei, die wechselweise gegen den Regen oder die Sonne aufspannen, und wenn sie Rad fahren, zwingen sie die Schirme in eine eigens dafür angebrachte Halterung am Lenker.

Nachdem die Feierlichkeiten vollbracht waren – es ging heiter zu – luden einige Professoren noch in ein Lokal namens Mr. Bonbon, wo einer von ihnen sich glatt schlafen legen wollte. Schuhe ausziehen ist übrigens obligatorisch, sobald man ein Lokal betritt. Man bekommt dann Schlappen zugewiesen, manchmal gibt es noch eigens Schuhe für die Toilette.

Nach der Pflicht kam die Kür: Wir erkundeten die Umgebung. Nach Inuyama ging der erste Ausflug. Dort gibt es ein Schloss, einen Tempel und Kormoranfischer, die ihre dressierten Kormorane des Nachts nach Fischen jagen lassen. Und einen Affenzoo mit Achterbahn. Fahrräder kann man sich umsonst ausleihen. Allerdings sollte man dafür nicht allzu groß sein. Am nächsten Tag fuhren wir nach Gujo-Hachiman, wo gepflasterte Straßen, hölzerne Häuser, mehrere Bergflüsse und ein Jungbrunnen sich ins hohe Tal ducken.

Ein weiterer Abend in Nishiharu endete beinahe fatal. Endlich einmal wollten wir in das Lokal um die Ecke, das mit einem in Deutsch geschriebenen Schild lockte: „Bar und Restaurant“, dazu ein Bitburger-Logo. Wir hinein, an die Bar gesetzt und erstmal Bier bestellt. Eine kuriose Choreographie fand statt. Ganz offensichtlich wollten wir Bier, sonst hätten wir keines bestellt. Da waren die Gläser, dort die Flasche. Und anstatt nun einzugießen, was wir begehrten, lächelte die Frau hinterm Tresen uns an und goss nicht. Nickte nur fragend und wir nickten antwortend. Der Trick: Du musst ihnen die Gläser hinhalten, schräg, sebstredend, sonst tun sie es nicht. Und sich selbst einzuschenken, schickt sich schon gar nicht. Der Mann neben mir sagte etwas, das die Dame hinter der Bar übersetzte. Ich sei „handsome“. Und ich sagte brav „arrigato“. Dann bekamen wir eine Schüssel mit etwas stark Gurkenartigem vorgesetzt, das wir nicht zu essen wagten. Wer weiß, es war vielleicht eine jener gefürchteten Seegurken, die angeblich der Chinesen schärfste Waffe gegen Fremde sind. Dann ging das Singen los. Wir waren nämlich in einer Karaoke-Bar gelandet. Wir wurden bedrängt, bekamen ein Verzeichnis von der Dicke eines Telefonbuchs, das sogar „Angel Of Death“ von Slayer beinhaltete. Wir einigten uns schließlich auf „House Of The Rising Sun“. Das passte schließlich ins Land der aufgehenden Sonne. Wir wurden gefeiert, auf Händen getragen, sie küssten uns die Füße. Sie wollten wissen, wer wir waren, woher wir kamen, wohin wir gingen. Die Besitzerin des Etablissements konnte nur unter Einsatz des eigenen Lebens davon abgehalten werden, Harakiri zu begehen, weil wir erzählt hatten, dass wir am nächsten Tag nach Tokyo wollten. Sie sei einsam, sagte ihre Kollegin aus Indonesien, die auch hinter der Bar arbeitete. Es wurden Lokalrunden für die ersten Deutschen geschmissen, die sich in die Bar verirrt hatten, seit man sich erinnern konnte. Ein Gast war selbst vor vierzig Jahren in Deutschland gewesen. Er wusste, was es bedeutet, ein Fremder zu sein. Ich sang für sie alle „Have You Ever Seen The Rain“, das hatte ich noch von den Minutemen im Ohr. Sie gerieten außer Rand und Band. Die thailändische Frau, die vor der Bar, nun ja, arbeitete? Sie wollte mit mir etwas von den Carpenters singen. Sie hing an mir, wie es nur eine Betrunkene kann. Meine Liebste eröffnete ihr den Blick auf meine behaarte Brust, worin sie sich verfing. Sie flehten um eine Zugabe. Sie bekamen eine erschütternde Fassung von „Under The Bridge“, die sie dann allerdings schon etwas routinierter bejubelten. Zu Abschied – es musste ja doch sein – gaben uns die Damen noch Geleit bis vor die Tür, allerdings nicht bevor sie uns ein Sümmchen abgeknöpft hatten, das unverschämt zu nennen kaum untertrieben wäre. Aber wie das so ist: Sie rechnen es einem bei Nachfrage stets akribisch und so plausibel vor, dass Widerstand zwecklos ist. Betrunken gingen wir heim ins Heim.

Am nächsten Tag, es blieben mir nur noch vier, ging es dann endlich nach Tokyo, wo wir Etsuko besuchen wollten, die meine Liebste in Tabor kennen gelernt hatte. Aber darüber erzähle ich euch vielleicht nächstes Mal mehr.

(aus TRUST # 115)

Fugazi: Ian MacKaye im Interview – für den BREMER, ca 2000


Arbeit mit sinnvollen Mitteln

Ihren Ausnahme-Status verdanken diese vier Herren aus Washington D.C. nicht nur ihrem musikalischen Oeuvre oder ihrer Vergangenheit bei Minor Threat oder Rites Of Spring. Fugazi sind auch eine der ganz wenigen Bands, die den alten Idealen der Hardcore-Szene immer noch treu sind, indem sie beispielsweise ihre Platten bei Dischord veröffentlichen, dem Label, dass Fugazi-Gitarrist und -sänger Ian MacKaye schon zu Zeiten von Minor Threat gründete. Und auch ihre übrigen Aktivitäten versuchen sie soweit irgend möglich, selbst zu kontrollieren. Ein Ziel dieser Bandpolitik ist es, den Zugang zu Platten und Konzerten erschwinglich zu halten. Nun sind Fugazi nach einer längeren Pause wieder auf Europareise. Vor ihrem Konzert im Schlachthof sprachen wir mit Ian MacKaye.

BREMER: In den letzten Jahren war zumindest auf der Bühne nicht soviel von Fugazi zu sehen. Dafür hat sich die Band musikalisch ein ganzes Stück weiterentwickelt. Was waren die Gründe für diese Pause?

Ian MacKaye: Dass wir 1997 nicht auf Tour waren, hatte im wesentlichen zwei Gründe: Mein Krankenhausaufenthalt mit einer kollabierten Lunge 1996 in Australien, und die Geburt von Brendans Sohn Asa im Oktober 1997. Wir mussten mehr Zeit zuhause verbringen. Aber wir haben uns ganz sicher nicht freigenommen. Wir probten weiter und schrieben Songs. Wir nahmen ‚End Hits‘ auf und beendeten die Arbeiten am Film ‚Instrument‘ und dem dazugehörigen Soundtrack. Das war eine Menge Arbeit. Jetzt versuchen wir, so viel zu spielen, wie es unser Leben erlaubt, und zuhause schreiben wir weiter Musik und planen. Musikalisch geben wir uns dabei keine Richtung vor. Wir versuchen nur, Musik zu spielen, die wir interessant und bewegend finden. Der ‚Instrument‘-Soundtrack ist dabei weniger ein Ausblick in die Zukunft als einer in die Vergangenheit. Die meisten Stücke haben wir schon vor Jahren aufgenommen, und seitdem lagen sie bei uns herum.

BREMER: ‚Instrument‘ und ‚End Hits‘ schienen Spuren der neueren, sogenannten Postrock-Bands aus Chicago und Louisville zu tragen.

Ian MacKaye: Ich kenne mich damit nicht sonderlich gut aus und würde nicht wirklich sagen, dass wir von diesen Bands inspiriert sind, ausgenommen Shellac, die ich für eine der wenigen grossen Live-Bands von heute halte. Ich interessiere mich in letzter Zeit mehr und mehr für lyrische Musik, und ich denke, dass viele der Bands auf die du anspielst, entweder instrumental oder fast-instrumental sind. Ich will diese Bands nicht abwerten, sie geben mir einfach nicht so viel.

BREMER: Euer Status in der Szene ist ziemlich singulär. In wieweit betreffen die neuen Entwicklungen auf dem Musikmarkt die Aktivitäten von Fugazi und Dischord?

Ian MacKaye: Wir arbeiten weiterhin mit den Mitteln, die uns sinnvoll erscheinen. Dass Internet-Anwendungen für Musik irgendwann ins Spiel kommen, ist möglich und sogar wahrscheinlich. Nichtsdestotrotz werden wir uns weiterhin in erster Linie LPs und CDs konzentrieren, weil das immer noch das ist, was die meisten Leute wollen. Ich persönlich war nie daran interessiert, meine Arbeit populären Trends oder Marktvorhersagen anzupassen, deshalb werde ich warten und schauen, was passiert. Es stimmt zwar, dass wir zur Zeit weniger Platten verkaufen und an manchen Orten weniger Leute kommen, uns zu sehen, aber es erscheint ganz natürlich, dass so etwas passiert. Vergiss nicht, dass es eine Zeit gab, als die Band nicht einmal existierte und deshalb gar keine Platten verkaufte und gar keine Shows spielte. Alles ist vorübergehend.

BREMER: Interessieren sich eigentlich auch ganz junge Hardcore-Fans für das ‚Modell‘ Fugazi?

Ian MacKaye: Wir haben eine ziemliche Bandbreite von Altersgruppen bei unseren Shows, obwohl nur wenige Leute kommen, die älter sind als ich (37). Ansonsten weiss ich nicht, wen wir ansprechen, oder wie wir so etwas messen oder definieren könnten.

BREMER: Wir bedanken uns für das Interview.

 

Vor zehn Jahren in der taz bremen


Still happy mit „Still I’m sad“

 

Die Yardbirds, die größte Gitarristentalentschmiede der 70er, badeten am Freitag im Meisenfrei noch einmal im Applaus

Immerhin dreißig Mark musste hinlegen, wer die britische Rocklegende erleben wollte: Die Yardbirds, Zeitgenossen von Beatles und Stones, wenngleich nie mit annäherndem Erfolg gesegnet. Den erspielte erst Jimmy Page, der letzte Gitarrist der Band vor ihrer Auflösung, mit den „New Yardbirds“, die zur größten Rockband der Siebziger Jahre wurden – allerdings nannte Page sie vorher noch kurz in „Led Zeppelin“ um.

Vor ihm hatten Eric Clapton und Jeff Beck bei den Yardbirds Gitarre gespielt. Warum auch immer: Diese Namen kennt heute noch fast jedeR Musikinteressierte, während die Yardbirds vergessen sind. Völlig? Nicht ganz.

Es dürften gut 200 Leute gewesen sein, die am Freitag das Meisenfrei aufsuchten, um die neuformierte Band zu sehen, die mit Schlagzeuger Jim McCarty und Rhythmusgitarrist Chris Dreja immerhin noch zwei Mitglieder der Urbesetzung aufwies. Keith Relf, der ursprüngliche Sänger der Band starb 1976 und klang ohnehin nie so unverwechselbar, wie z.B. sein Kollege bei den Stones, weshalb John Idan seinen Platz ohne große Verluste einnehmen konnte.

Was also schon ehedem das Problem der Yardbirds gewesen sein mag – die Unterlegenheit in Sachen Charisma – konnte am Freitag Anlass für den Verdacht sein, man habe es hier mit einer Cover-Band zu tun, wenn auch einer überaus exzellenten. Hand aufs Herz: Wer weiß schon, wie Chris Dreja 30 Jahre später aussieht? Wer würde den Sound seiner Rhythmus-Gitarre unter anderen und die unverkennbare Hihat-Technik von Jim McCarty auf Anhieb erkennen?

Was die Yardbirds seinerzeit ausgemacht hat, waren neben den Gitarristen, von denen alle Kollegen von damals wegen Erfolgs anderweitig beschäftigt waren und deshalb an der Reunion nicht teilnehmen konnten, für damalige Verhältnisse durchaus wilde R&B-Songs wie „I’m Not Talking“, „Heart Full Of Soul“, „For Your Love“ – allesamt im Repertoire – oder „Still I’m Sad“, in das die Yardbirds geschichtsklitternd einige Takte aus „Dazed & Confused“ (Led Zeppelin) einflochten. Bis auf „Shapes Of Things“ ließen sie nichts aus.

Und sie machten ihre Sache gut, das steht ganz außer Frage. Zwar sah man ihnen an, dass sie im Laufe ihres Lebens so manchen Drink gekostet haben müssen, zwar war das Haupthaar des Chris Dreja schütter, aber sie hatten Spaß an ihrer Musik. Keine zynischen alten Säcke, sondern ein paar – sagen wir – reifere Jungs, die im Applaus badeten und sich durchaus eher um Energie bekümmerten als um muckerhafte Perfektion.

Vor zehn Jahren…


90 DAY MEN – „(it (is) it) critical band“
(Southern)
Ursprünglich stammen die vier jungen Männer, die zusammen als 90 Day Men musizieren, aus St. Louis, Missouri. Sie zogen es allerdings schon bald vor, gemeinsam nach Chicago zu ziehen. Vier Jahre und drei Singles nach der Bandgründung gibt es nun das Debüt mit dem merkwürdigen Titel „(it (is) it) critical Band“. Nervöse, verschachtelte Rockmusik, wie sie in der Wahlheimat der Band hervorragend gedeiht, man denke nur an Shellac oder June Of 44, aber auch eine Band wie Unwound darf einem hier in den musikalischen Sinn kommen. Die 90 Day Men spielen allerdings eher mit der kühlen Distanz alter Post-Punk- und Wave-Bands. Pop Group, Joy Division, Birthday Party und Sex Gang Children haben hier ebenso ihre Spuren hinterlassen, wie Sonic Youth.
Vor diesem historischen Hintergrund verfahren 90 Day Men mit der zur Erfrischung nötigen Respektlosigkeit. Ihr Motto lautet: „Aufbauen, entkleiden, ohrfeigen. Wegwerfen und das Geld unter dem Kopfkissen lassen!“ Das Ergebnis ist ein beeindruckendes Debüt, das zwischen zerfasernden Instrumentalstrecken und ungeduldig treibendem Noise-Rock oszilliert.