Ausgerechnet die von Altvorderen lange geschmähte Pop-Kultur hat Einzug in die einst talarbewehrten und heiligen Hallen der Alma Mater gehalten und wurde mit einer eigenen Theorie bedacht. Pop- und Rockmusik, die einst vor allem den Körper nicht zuletzt als Mittel für so unakademische Dinge wie Sex und Drogen hernahmen und sich auch sonst der kritischen Vernunft gegenüber eher antipodisch verhielten, werden wie andere einst als geschmähte Formen populärer Zerstreuung wissenschaftlich untersucht. Das ist sicherlich nicht gleich dumm, weil man auch über Dinge Erkenntnis gewinnen kann, die sich selbst nicht bemühen, erkannt zu werden, wie die Naturwissenschaft seit jeher beweist. Da weiß man aber, was man davon hat, haben will oder haben könnte: Toaster und Glühbirnen, Autos und Atombomben zum Beispiel. Was findet nun die Pop-Theorie heraus? Renommierte Verlagshäuser, wie das von Suhrkamp, geben Bücher zum Thema heraus. Ein Periodikum wie das „Testcard – Beiträge zur Popgeschichte“ widmet sich der bunten Welt der Popkultur auf einem sprachlichen Niveau, das ein schlichtes Gemüt fragen machen kann, ob die Sache mit der lauten Musik und dem Spaß daran wirklich eine so komplizierte Sache ist. Auffallen kann bei der Durchsicht solcher Werke, dass es in ihnen offenbar selten um eine Erklärung des zu erforschenden Gegenstandes geht. Beispielhaft sei die letzte Ausgabe des erwähnten Testcard genannt, in dem es um „Pop und Krieg“ geht. Da erklärt Felix Klopotek, warum es schlichtweg keinen Zusammenhang zwischen Pop und Krieg gibt, während andere, wie Martin Büsser, die kapitalistischen Verhältnisse als stetigen Krieg betrachten, also den Krieg als Metapher benutzen, um etwas ihm wesentlich Fremdes zu beschreiben, oder sich – andersrum – einen Gegenstand suchen, der dem Krieg nur vermittelt zugehört, wie Johannes Ullmaier, einer der Herausgeber des Testcard, der sich mit dem geräuschbesessenen Luigi Russolo beschäftigte. So stehen sie da, als verschiedene Ansätze gleich gültig nebeneinander, ein theoretischer Steinbruch. In den Geisteswissenschaften ein übliches Verfahren: einen Haufen verschiedener Ansätze zu versammeln, ohne den Anspruch, die Widersprüche auflösen zu wollen, die sich aus der Existenz der verschiedenen Anschauungen ergeben. Meinungspluralismus auf akademischem Niveau. Selbst, wer die Angelegenheit mit dem Zweck betreibt, etwas Gültiges herauszufinden, kommt in solch einem Betrieb nicht anders vor als eben eine Meinung unter vielen. Was aber soll überhaupt dabei heraus kommen? Bleiben wir beim Testcard: Von fast keinem Ansatz erfahren wir etwas über den Krieg, etwas mehr über Pop und eine Menge über die Methoden der sogenannten Poptheorie, die ohne die Annahme nichts ist, Kunst könne auf eine ihr eigene Weise gefährliche oder wünschenswerte Gedanken in die Gesellschaft tragen, die dort eher reflexionslos aufgenommen werden und (Un-)Heil anrichten können, weshalb es auch nur einen einzig korrekten Musikgeschmack – für dessen Bestimmung man Theorie benötigt – und viele bedenkliche Versionen davon geben muss. In unserem Beispiel: Die manische Beschäftigung mit Wirkung und Ursache von Explosion, Ballistik und Konsorten, mündend in Russolos Versuch, diese Klänge maschinell zu erzeugen, wirkte musikalisch wegweisend. Russolos Patriotismus und die Nähe zu faschistischem Gedankengut machen Ullmaier aber Sorgen der Sorte: „Darf ich diese Musik gut finden?“ Da stellt er fest, dass er ein Kunstprodukt mag, bei dem er jedoch einen ideologischen Gehalt im abstrakten Klang annimmt – blöd nur: nachweisbar ist das nicht. Das Problem ist eigentlich keins, es sei denn, man schreibt der Musik (oder auch Filmen, Büchern und Bildern) die Macht zu, unschuldige und brave Menschen zu Kriminellen oder zu Nazis werden zu lassen, bzw. durch rebellische Gesten für allerlei Gesellschaftskritik zu agitieren. Damit will man ihre gesellschaftliche Relevanz nachweisen – und zwar gerade nicht als affirmativ wirkende, kulturindustriell produzierte Kompensationmitel. Denn was wäre dann die jugendliche Rebellion eigentlich gewesen? Das scheint das eigentliche Vorhaben von Poptheorie zu sein: Den Beweis anzutreten, dass „Pop“ eben doch mehr ist als Unterhaltung und ein Geschäft. Bei so einem Vorhaben muss man wohl viel Glück wünschen.