Eine wechselvolle Geschichte – oder: Warum die Kirche im Dorf bleiben durfte… (Zett April 2008)


Schon eine bemerkenswerte Geschichte: Da wurden früher Christen den Löwen vorgeworfen, später massakrierten sie selbst die Ungläubigen. Ihr Glaube wurde eines Tages Staatsreligion, noch später ließen es Päpste und Kaiser ordentlich krachen – untereinander wie gegeneinander – und schufen sich erstere einen eigenen Staat. Bei uns wiederum treibt eine demokratisch legitimierte Herrschaft per Steuer die Mitgliedsbeiträge für ausgewählte Glaubensvereine ein (andere gehen leer aus oder werden gleich verboten) und schützt die religiösen Gefühle seiner Untertanen, während ein Atheist ohne vergleichbaren Schutz – etwa vor Kirchengeläut – auskommen muss. Wie die Obrigkeit mit ihren gläubigen Untertanen und deren Vereinen umgeht, hat offenbar vor allem mit Politik zu tun.

Wissenschaft versus Toleranz

Dass manche Glaubensauffassung staatlich verfolgt wurde oder wird, hat eigentlich einen recht einfachen Grund: Der Fundamentalismus, der jedem Glauben innewohnt (jeder andere muss per se falsch sein, denn Wahrheit kann es nur eine geben), ist zunächst unkompatibel mit einem Staat, der ganz rigoros und unzweideutig seine Zwecke durchsetzt. In der Praxis hat dieser Widerspruch wie angedeutet verschiedene Verlaufsformen. Wie das zum Beispiel in einer Demokratie funktioniert, lernen die Pökse schon in der Schule: Ab Klasse eins wird im Fach Religion fleißig Schöpfungsgeschichte gemalt. Zugleich aber lernen die künftigen mündigen Staatsbürger und -bürgerinnen in Sachkunde, dass sich auf dieser Welt „the fittest“ durchsetzt. Dass sich diese beiden Vorstellungen von der Welt gegenseitig ausschließen, ist jedoch keine echte Diskussion und Klärung wert. Dafür ist es aber eine prima Einübung in Toleranz. Und Ausdruck der „Domestizierung“ von Religion. Denn deren Welterklärungsanspruch wird in letzter Instanz nicht ernstgenommen. Das mag einen aufgeklärten Menschen nicht weiter grämen. Dennoch scheint auch in unserer angeblich recht säkulären Gesellschaft das Nicht-wissen-wollen stark nachgefragt zu sein.

Glauben heißt nicht wissen

Dass es nach so unwahrscheinlichen Weltbildern wie dem des Christentums permanent und regelmäßig neuen Bedarf gibt, wirft kein schönes Licht auf die real existierenden Verhältnisse: Das Leben in einer Gesellschaft, die massenhaft einen Bedarf nach Sinnstiftung kennt, lässt allem Anschein nach deutlich zu wünschen übrig – man schaue sich nur an, was den Leuten so alles versprochen wird an Paradies und Glückseligkeit, so sie sich denn auf Erden anständig aufführen. Menschen, die den lieben langen Tag lang damit beschäftigt sind, fremden Zwecken zu dienen, haben offensichtlich ein Bedürfnis nach Trost. Da es aber derzeit nicht mehrheitsfähig ist, für die oft unerquicklichen Lebensumstände die konkreten politischen Verhältnisse haftbar zu machen, suchen sich die Insassen dieser und anderer Gesellschaften eine höhere Instanz, die für den wahrscheinlichen Fall des eigenen Ablebens Tröstlicheres bereitzuhalten verspricht, als ein modriges Grab und sonst nichts.

Ist meine Meinung

Mit ihrer speziellen Einschätzung der Dinge fallen Christen unter die Meinungs-, Glaubens- und sonstige Freiheiten, die die bürgerliche Gesellschaft ihren Bürgern und Bürgerinnen gnädig gewährt – sofern die damit keinen Unfug anstellen und sich anschicken, die Staatsräson zu unterwandern. Da kennt das Gewaltmonopol kein Pardon. Zum Beispiel komme bloß niemand auf die Idee, seine Kinder nicht zur Schule zu schicken, nur weil das nicht zum jeweiligen Glaubensprogramm passt. Da relativiert sich Gottes Gebot ganz flott. Und nicht einmal die rechtschaffen gläubige Tat braucht es zwingend, damit der Staat in Aktion tritt: Scientologen und Moslems geraten beispielsweise bisweilen allein aufgrund ihrer Vereinszugehörigkeit in die Bredouille. Ihnen werden recht schnell staatsfeindliche Zwecke unterstellt. Vor allem Moslems, vulgo: Fundamentalisten, wird gern unterstellt, dass sie in Wirklichkeit einem anderen Herrn dienen, was je nach Individuum noch begünstigt wird durch die in den Augen von Nationalisten und anderen Patrioten ohnehin schon problematische Tatsache, dass sie bisweilen eine andere Staatsbürgerschaft als die deutsche haben. Heißt im Umkehrschluss, dass die braven Christen, die tagein tagaus brav ihrer Erwerbsarbeit oder -losigkeit nachgehen, vor allem als das geschätzt werden, was sie sind: funktionale Bürger.

Und für deren Mitmachenwollen wiederum ist das Christentum eine formidable Sache. Denn dass der Christ brav, bescheiden und freundlich an seinem Ort (an den ihn der Herr gestellt) walten will und das irdische Jammertal ihm von höchster Stelle aufgeladen ist (Widerstand also zwecklos), bringt ihm die kirchliche Propaganda bei – die andernorts übrigens als Befreiungstheologie schonmal für ganz anders geartete Zwecke funktionalisiert werden konnte – und ist dem Staat ein Wohlgefallen, weshalb die Kirche nicht nur im Dorf bleiben durfte, sondern auch von Vater Staat in den Genuss einer Sonderbehandlung kommt und im Rahmen von Kirchentagen und anderer Festivitäten von der Politik hofiert wird. Die weiß, was sie von ihren Kirchen hat.

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