Lasst sie Kuchen essen! Motorpsycho (aus BREMER März 2000)


Wenn man sich anschaut, wie Motorpsycho eine großartige Platte nach der anderen aufnehmen, mit denen sie den erklärten Anspruch sich nicht zu wiederholen, mühelos zu erfüllen pflegen, kann man sich schon wundern: Darüber, dass ausgerechnet aus dem verschlafenen Trondheim in Norwegen eine Band kommt, die so souverän über ein stilistisches Repertoire von Bluegrass über Pink Floyd und MC5 bis hin zu Dinosaur jr. oder Pavement gebietet; und über die schier unglaubliche Produktivität, die Motorpsycho an den Tag legen. Die drei jungen Männer, die zusammen seit zehn Jahren Motorpsycho sind, finden indes gar nichts besonderes dabei. Sie machen eben nunmal einfach die Musik, die aus ihnen herauskommt. „Du kannst diese Dinge nicht planen“, lautet einer der Sätze, die regelmäßig zur Antwort erhält, wer fragt, wie sie beispielsweise auf die zuckersüßen Streicher verfallen sind, die auf ihrem neuen Album ‚Let Them Eat Cake‘ zu hören sind. Anlässlich ihres Konzerts in Bremen, bei dem sie übrigens von Soundtrack Of Our Lives, einer Nachfolgeband der legendären Union Carbide Productions begleitet werden, sprachen wir mit Motorpsycho über das neue Album, dessen Bühnenversion und das, was man eben alles so nicht planen kann.

BREMER: Die Einflüsse, die ihr auf eurem neuen Album verarbeitet, sind ja eher alt: Beatles und Beach Boys, Allman Brothers Band und Pink Floyd. Es klingt nach einem Widerspruch, die Musik immer weiter pushen zu wollen und sich gleichzeitig so stark auf die Vergangenheit zu beziehen…

Bent (Bassist und Sänger): (lacht) Ich weiß nicht. Wir denken nie über solche Dinge nach. Sie kommen heraus, wie sie eben aus uns herauskommen. Und wenn du dir die angesagten neuen Techno-Sachen anhörst, klingen sie alle wie Miles Davis aus der ‚Bitches Brew‘-Phase. In den letzten zehn Jahren habe ich vielleicht vier oder fünf originelle Platten gehört. Es gibt da nicht so viel für uns zu holen. Es gibt nunmal nur einen Beck. Unsere Einflüsse gehen weiter zurück als in die Achtziger und Neunziger.

BREMER: Bei euren letzten Shows bewegtet ihr euch mehr und mehr in Richtung Hardrock, so dass manche Leute befürchteten, ihr würdet so langsam zur Bluesrockband mutieren…

Snah (Gitarrist und Sänger): Für uns war es wie ein Exorzismus. Wir waren inmitten der Aufnahmen, aber wir konnten die neuen Songs noch nicht umsetzen.

Bent: Baard Slagsvold, der auf der Platte die Streicherarrangements gemacht hat und Piano spielt, kam vor ein paar Monaten auf eine kleine Norwegen-Tour mit. Das öffnete die Musik. Es war bislang immer dieses Frontal-Ding. Jetzt müssen wir lernen, weniger zu spielen und Platz für eine Person mehr zu schaffen. Die neuen Sachen funktionieren sowieso weniger auf einer Energie-Ebene, und das ändert eine Menge. Baard ist auch auf dieser Tour dabei. Wir werden möglichst viele Songs von der neuen Platte spielen.

Gebhardt: Es war interessant: Wir konnten mit ihm viele alte Songs spielen, die wir lange nicht gespielt hatten.

Snah: Es war sehr nett, die Songs wiederzuentdecken und ihnen ihre richtige Instrumentierung zu geben: Mellotrone, Clavinets, Klavier. Baard singt auch. Er fügt viele Dimensionen hinzu.

Bent: Er spielt außerdem Kontrabass, und wir könnten Bluegrass spielen, was wir sehr gern machen.

Gebhardt: Wir spielen jetzt schon so lange zu dritt, und als wir von unserer Tour im letzten Sommer kamen, waren wir gelangweilt. Wir wollen dem Bühnenkonzept eine neue Richtung geben.

Bent: Wir müssen hingehen, wo wir noch nie waren. Es ist das erste Mal, dass wir eine vierte Person in der Band haben, die wirklich – boom- da ist.

Snah: Es wird uns zwingen, musikalisch anders aufeinander zu reagieren. Die Konzerte mt ihm waren ein Indikator, dass es funktionieren wird.

BREMER: Es soll in diesem Jahr noch zwei weitere Motorpsycho-Platten geben…

Bent: Es wird eine zweite Roadworks-Folge geben. Ein Konzert, dass wir 1995 in Norwegen mit einer Free Jazz-Band namens The Source auf einem Jazz-Festival gegeben haben. Es ist etwas länger als eine Stunde. Wir spielen ein paar von unseren Stücken, sie ein paar ihrer Songs, und wir spielen zusammen. Es ist verdrehter Heavy Metal-Jazz, sehr seltsam. Wir müssen es nur noch mastern. Außerdem wird es noch eine Hardrock-Platte mit sieben Songs auf Man’s Ruin geben.

BREMER: Wie seid ihr auf das Marie Antoinette-Zitat als Titel gekommen?

Bent: Es ist die ultimativ arrogante, selbstsichere Aussage aus einem völligen Mangel an Einsicht in das, was die Leute wollen. Wir dachten uns, dass viele die uns nicht so gut kennen, uns für eine Hardrockband halten. Deswegen kriegen sie von uns etwas ganz anderes, etwas süßeres. Es ist also eine etwas billige Metapher dafür, dass Hardrock wie Haferbrei ist, und die Musik auf dieser Platte wie Kuchen. Wir fühlen uns auch ein bisschen unsicher, was die Platte angeht. Stoßen wir Leute vor den Kopf, die unsere Platten kaufen? Sie ist sehr weich und poppig, und wir denken, wir halten ein bisschen den Kopf hin, und Marie Antoinette hat ihren verloren (lacht). Lasst sie Kuchen essen! Lasst uns ein wunderschönes Album machen, ein ‚Kuchen‘-Album. Es sind all diese Dinge.

BREMER: Es gibt ein Zitat von Bent, wo er sagt, ‚Let Them Eat Cake‘ sei eine Platte, die Mütter beim Abwasch hören könnten. Habt ihr das mal ausprobiert?

Bent: Ich hatte noch nicht die Gelegenheit. Aber ein paar Songs habe ich ihr vorgespielt, und sie mochte es. Sie hat sich über die Streicher gefreut. Meiner Großmutter spiele ich jedesmal vor, wenn wir eine Platte gemacht haben, und sie sagt dann immer: Ihr habt euch ganz schön verändert seit der ersten Platte! Ich habe sie damals wirklich schockiert. Es ist zehn Jahre her, und sie erinnert sich immer noch daran, als wäre es die ultimative höllische Erfahrung für sie gewesen, ihrem Enkel zuzuhören, wie er die ganze Platte lang schreit. Sie findet alles toll, was anders ist als das.

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