Die ersten waren die Minutemen: „Punch Line“ und „What Makes A Man Start Fires?“. Das heißt, das waren meine ersten SST-Platten. Ich hatte ja keine Ahnung. In einem Buch voller Plattenbesprechungen (hab vergessen von wem, aber es war keines dieser coolen „Diederichsen-entdeckt-Napalm-Death“-Dinger) hatte ich alles angekreuzt, was nach Ramones und den zwei, drei anderen Bands klingen sollte, die ich neu entdeckt hatte, damals in den Jahren zwischen 1983 und 1985. Und die Minutemen, so schrieb der gute Mann, spielten „in a Ramones-like frenzy“ oder so – und wer war ich, dass ich widersprochen hätte?!
Auf einer Plattenbörse erstand ich also die beiden guten Stücke – und ließ sie nach dem ersten Durchlauf erstmal im Regal stehen. Nach den Ramones klang es ja nun wirklich nicht, auch wenn die Songs schnell und kurz waren. Kein Bratgitarren und keine Pop-Melodien, das war mir dann doch etwas zu spröde. Etwas bewog mich aber dazu, sie nicht auf dem nächsten Flohmarkt wieder zu verhökern. Es war wohl letztlich der Spex geschuldet (pardon, wir wussten es damals eben nicht besser), dass ich eines Tages das Label SST erst wirklich entdeckte. Von da an wurde alles anders, soviel steht nun fest.
Wenn ich mich richtig erinnere, hatte ich schon damals viel für den guten alten Neil Young übrig. Und der tauchte in einer Plattenbesprechung zu Giant Sand auf, mit dem Verweis, bislang habe man Howe Gelb für die nächstmögliche genetische Kombination zu jenem gehalten, bis J. Mascis die Szene betrat. Das interessierte mich dann doch, dieser Mascis. Musste ja ein Teufelskerl sein.
Dann kam jener denkwürdige Tag, da ich in Delmenhorst, wo ich den Zivildienst leistete, mir das gerade erschienene Album „You’re Living All Over Me“ auflegen ließ. Schnell die Kopfhörer auf und voller Spannung den neuen Neil Young erwartet. Ich schilderte – so meine ich jedenfalls – an dieser Stelle schon einmal, welch weiche Knie ich bekam, die Schweißausbrüche und so weiter. Ich war am Haken. Und in dem Label-Katalog, der dem Album beilag, fand sich manches, was ich hören wollte. Da waren die Descendents, die Meat Puppets, Black Flag selbstverständlich auch, Würm, Saint Vitus, Overkill, Bl’ast!, Angst, SWA, Bad Brains, Slovenly, DC 3 – so müsste meine Bestellung direkt beim Label gewesen sein. Vielleicht wäre es interessant, was ich nicht bestellte (Hüsker Dü, Universal Congress Of, Sonic Youth, whatever….). Ich schätze, dass hatte damit zu tun, dass ich mit einem Bein tief in schwerem Metall stand und meine Musik brutal wollte, zum anderen immer noch meiner Liebe zu Country und Folk frönte, die ich wiederum gern mit Punk im Bette sah. Jazz fand nicht statt. Und allzu arty mochte ich es auch nicht. Klar jedenfalls: Das Label stand in voller Blüte und hatte im Grunde seine größtmögliche sinnvolle Ausbreitung erreicht. Irre wie Zoogs Rift und Cruel Frederick konnte man locker mit durchziehen, weil Hüsker Dü, Black Flag und so weiter sich gut verkauften.
Slovenly waren so eine Band, die ich erst gar nicht begriff. Komischer Gesang. Auch wenn ich die gelegentlichen freien Saxophon-Soli ganz cool fand, die Lynn Johnston (UCO) als Gast blies. Jazz indes harrte noch seiner Entdeckung durch mich, hatte aber später Glück, was er vor allem John Zorn verdankte. Meine Beschäftigung damit begann dank Naked City furios, erlahmte ein wenig bei Charlie Parker, auf den ich wegen Kerouac gekommen war und nahm mit „Giant Steps“ von Coltrane Fahrt auf. Erst dann erforschte ich auch die entsprechenden Winkel des SST-Repertoires.
Dave Lang, der einen ganz lesenswerten Aufsatz über SST auf der Internetseite http://www.furious.com veröffentlicht hat, sortiert zwar beispielsweise Cruel Frederick unter die Nieten ein, aber das geht definitiv zu weit.
Schon bis jetzt dürfte klar sein, dass zumindest vor SST kein Label eine derartige stilistische Offenheit wagte (auch wenn später die Grenze zur Beliebigeit mehr als einmal überschritten wurde). Die Zahl derer, die sich davon inspirieren ließ, ist immens.
Und was ist heute? Ein kleines Kontingent Neuveröffentlichungen gab es dann nach langerm Warten doch noch – ausschließlich Platten, auf denen Greg Ginn selbst Gitarre spielt, was mich daran erinnert, wie Joe Baiza mal sagte, heute sei es leicht, auf SST zu sein: Man müsse nur eine Band gründen, in der Greg Ginn spielt. Als Quell einer auch nur ansatzweise ähnlich bedeutsamen Musik ist SST heute getrost zu vernachlässigen. Die großen Helden sind nicht mehr existent, ihre Mitglieder indes sorgen gelegentlich noch für Höhepunkte. Allen voran natürlich Mike Watt mit unterschiedlichsten Projekten, die beweisen, dass er sich genau die musikalische Offenheit bewahrt hat, die konstituierend für die großen SST-Tage war. Bob Mould und Grant Hart veröffentlichen gelegentlich durchaus schöne Platten und Greg Norton beendete seine musikalische Pause mit dem höchst interessanten Projekt „Gang feat. Interloper“ (oder wie???).
George Hurley spielte bei Red Krayola, was tut er heute?
Joe Baiza scheint untergetaucht, die UCO-Kollegen Steve Moss und Steve Gaeta machen in Deutschland den „Kool Aid Acid Test“, Saccharine Trust scheinen noch zu spielen, haben vor nun fast zehn Jahren ein sehr schönes Album bei Hazelwood gemacht, und die Mecolodiacs sind wohl schon wieder Geschichte.
Chuck Dukowski überraschte uns mit zwei Alben seines neuen Sextetts, bei dem auch Lynn Johnston spielt. J. Mascis ist Dinosaur jr. – ob er nun unter altem Namen oder mit anderen Begleitern spielt. Und, pardon, das ist gut so.
Die Bad Brains haben immerhin doch noch eine gute Platte hingekriegt, aber live scheinen die Tage der Band definitiv gezählt zu sein.
Mark Lanegan verdankt seine Karriere nicht zuletzt auch SST; die damals an seine alte Band Screaming Trees glaubten. Dass er eine Weile eng mit den Queens Of The Stone Age verbandelt war, passt daher ganz gut: Nick Oliveri gab nämlich einst zu Protokoll, dass Mario Lalli und seine Band Fatso Jetson ihn zum Musizieren brachten, damals in Palm Springs. Und Fatso Jetson haben ebenfalls auf SST veröffentlicht – übrigens eine formidable Rock-Band mit reizvollen Beefheart-Anklängen.
Im Nachhinein ist dem Manne zu danken für seinen seltsamen Vergleich – wer immer er war…
sst-one
Meine Lieblingsplatten auf SST?
You’re Living All Over Me – Dinosaur jr.
New Day Rising – Hüsker Dü
I Against I – Bad Brains
Damaged – Black Flag
Double Nickels On The Dime – Minutemen…
Ach, und noch ein ganzer Schwung andere – ich krieg’s nicht reduziert… Wo blieben die Meat Puppets, erstes Album? Wo bliebe Bl’ast!, wo fIREHOSE? Sonic Youth, Slovenly, Tar Babies, UCO? Nee, da müsst ihr selber durch.
aus TRUST # 133