schrieb ich in der taz bremen den Artikel „Die letzten großen pubertierenden Krieger“ mit der ziemlich bösen Unterzeile: „Freies Assoziieren auf dem theoretischen Hochseil“.
Der ging so:
In der nächsten Ausgabe von „Testcard“, einem halbjährlich erscheinenden Poptheoretikum, geht es um „Pop und Krieg“. Drei Beiträge zum Thema ließen sich am Freitag auf dem Magazinboden des Schlachthofs beäugen. Drei höchst unterschiedliche, ja, man sagt wohl „Ansätze“ dazu, wenn sich einem Thema von ganz verschiedenen Seiten genähert wird. Pop und Krieg – keine gar so abwegige Assoziation, schließlich geht es in allerlei Sorten Musik viel um Krieg. Vom simplen Marsch bis zum „Star Wars“-Thema, vom Edwin Starr-Klassiker „War“ bis zu den „Battle Hymns“ von Manowar. Patriotisch pathetisch, besinnlich nachdenklich, moralisch rechtschaffen – es gibt viele Wege, pardon: Ansätze, sich mit dem Krieg zu beschäftigen. Anscheinend wollen jedoch nur wenige wissen, was es eigentlich mit dem eigentlichen Verhältnis zwischen Krieg und Pop so auf sich hat. Vielmehr assoziieren sie einigermaßen willkürlich durch die Gegend. So fragt Hörspielautor Albrecht Kunze in seinem Text: „Sind Chillout-Zonen Schutzräume? Und wenn ja, wovor?“ Andere, wie Martin Büsser, betrachten die kapitalistischen Verhältnisse als dauernden Krieg, verwenden also den Krieg als eine Metapher, um etwas ihm wesentlich Fremdes zu beschreiben, oder suchen sich – andersrum – einen Gegenstand, der dem Krieg nur vermittelt zugehört, wie Johannes Ullmaier, mit Büsser Herausgeber des Testcard, der sich mit dem geräuschbesessenen Futuristen Luigi Russolo beschäftigte.
Hier wie da erfahren wir kaum etwas über den Krieg, mehr dafür über Pop und eine ganze Menge über die Methoden der sogenannten Poptheorie, die ohne die Annahme nichts ist, Kunst könne, je nachdem, gefährliche oder wünschenswerte Gedanken in die Gesellschaft tragen, die da ganz unbewusst aufgenommen werden und, je nachdem, Heil oder Unheil anrichten können, weshalb es dann auch nur einen einzig lotrechten, korrekten Musikgeschmack und viele bedenkliche Versionen davon geben muss. Johannes Ullmaier, mit Martin Büsser Testcard-Herausgeber, trug einen Text aus Luigi Russolos Buch „Die Kunst der Geräusche“ vor, in dem der italienische Futurist von der „wunderbaren und tragischen Symphonie der „Kriegsgeräusche“ schwärmt. Die manische Beschäftigung mit Wirkung und Ursache von Explosion, Ballistik und Konsorten, mündend in Russolos Versuch, mit Maschinen diese Klänge künstlich zu erzeugen, wirkte musikalisch wegweisend. Die Nähe zu faschistischem Gedankengut und der Patriotismus Russolos machen Ullmaier dann aber doch Sorgen der Sorte: „Darf ich diese Musik gut finden?“ Da stellt also einer fest, dass er ein Kunstprodukt mag. Aber da gibt es noch den Gehalt von Ideologie im abstrakten Klang, angenommen, jedoch nicht nachweisbar. Das Problem ist keines, es sei denn, man schreibt der Musik die Macht zu, brave Menschen mit dem Vorspielen von Riefenstahl-Videos zu Nazis werden zu lassen oder orientierungslose Adoleszenten vermittels des Tragens von Frauenkleidern zu allerlei Gesellschaftskritik zu bringen, wie Kurt Cobain, nach Büsser „vielleicht der letzte große pubertierende Krieger“. Ohne übrigens dabei zu klären, warum und wie denn nun eine Kritik am (hier:) Kapitalismus zu erfolgen habe.
„Das ist einfach nicht der Ort für diese Auseinandersetzung“, meinte Ullmaier in einer kleinen Debatte im Anschluss, und das heißt nun mal nur, dass an der Frage gegenwärtig kein Interesse besteht. Und sie wäre auch müßig, wenn es wirklich ein „preaching to the converted“ gewesen ist. Allerdings bleibt da immer noch der explizit politische Anspruch. Nur hats der eben nicht mit Kritik von Gesellschaft und ihren Verhältnissen, sondern will hier auf eine des Geschmacks hinaus, auch wieder nicht ohne mittendrin innezuhalten und abgesehen von den großen Bösen (Nazis! Krieg!) alles zu relativieren – als einen „Versuch“, als ambivalent. Und der verschworene Kreis der Leser, der sich natürlich selbst fernab jeglicher politischer Bedenklichkeit dünkt, darf in dem Wssen, die richtigen Platten zu hören, und sich überdies mal wieder ein paar „interessante Ansätze“ eingeschmissen zu haben, beruhigt wieder ans Bier setzen. Schade, ginge doch auch anders…
taz bremen, Oktober 2000